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daß ich morgen in aller Frühe ein Kaleschlein anspannen lasse und Euch
hinausführe zu Eurem Herrn Sohn in das Lager."
Am Morgen, als sie in das Lager kam und den General sah, ja,
so war es ihr Sohn, und die junge Frau, die gestern mit ihm geredet
hatte, war ihre Schwiegertochter, und das Kind war ihr Enkel. Und als
der General seine Mutter erkannte und seiner Gemahlin sagte: „Das ist
sie," da küßten und umarmten sie sich, und die Mutterliebe und die Kindes¬
liebe und die Hoheit und Demut schwammen ineinander und gossen sich in
Tränen aus, und die gute Mutter blieb lange iu ungewöhnlicher Rührung,
fast weniger darüber, daß sie heute die Ihrigen fand, als darüber, daß sie
sie gestern schon gesehen hatte. Als der Wirt zurückkam, sagte er, das Geld
regne zwar nirgends durch den Kamin herab, aber nicht 200 Franken nähme
er darum, daß er nicht zugesehen hätte, wie die gute Mutter ihren Sohn
erkannte und sein Glück sah; und der Hausfreund sagt: „Es ist die schönste
Eigenschaft im menschlichen Herzen, daß es so gerne zusieht, wenn Freunde
oder Angehörige unverhofft wieder zusammenkommen, und daß es allemal
dazu lächeln oder vor Rührung mit ihnen weinen muß, ob es will oder
Nicht." Nach Hebel.
1V5. Meister Hämmerlein.
Zu Ansang des vorigen Jahrhunderts lebte in einem preußischen Dorfe
der Gemeindeschmied Jakob Horn. Im gemeinen Leben hieß er nicht anders
als Meister Hämmerlein, weil er die sonderbare Gewohnheit hatte, wo er¬
ging und stand, ein Hämmerlein und einige Nägel in der Tasche zu führen
und an allen Türen und Zäunen zu hämmern, wo er etwas los und ledig fand;
vielleicht auch, weil er dank seinem Hämmerlein Gemeindeschmied des Dorfes
geworden war. Wie das zuging, sollt ihr gleich hören. Sein Vorgänger war
gestorben. Vier wackre Burschen hatten sich zu der Stelle gemeldet und dem
und jenem allerlei versprochen, wenn er ihnen zu der Stelle verhülfe. Jakob
Horn hatte sich nicht gemeldet und nichts versprochen; er wußte überhaupt
nichts von der freien Stelle, und doch erhielt er sie. Als fremder Handwerks¬
bursche kam er mit seinem Felleisen des Wegs daher gewandert. Nahe beim
Dorfe hing an einer Gartentür schon wochenlang ein Brett herab. Flugs
langte der Wanderbursch einen Nagel und sein Hämmerlein aus der Tasche
und nagelte das Brett fest. Das sah der Dorfschulze. Es schien ihm
wunderbar, daß der landfremde Mensch das Brett nicht konnte hängen
lassen, das doch selbst der Eigentümer des Gartens wohl zwanzigmal so
gesehen hatte, ohne es festzumachen. Er wollte ihn anreden, aber der
Bursche war fort, ehe er ihm nahe genug kam.
Eine Stunde darauf ging der Schulze in die Dorfschenke. Dort fiel ihm