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V. Aus der Geschichte.
und von heiterer Laune, wie sein ganzes Geschlecht. Als er
bald nach seiner Thronbesteigung nach dem Kloster St. Gallen
kam, setzte er sich an die Tafel der Mönche und aß von den
Speisen, die den Brüdern aufgetragen wurden. „Möget ihr
wollen oder nicht,“ sagte er nicht ohne schalkhafte Laune,
„heute müßt ihr mit mir teilen.“ Man bedauerte, daß er nicht
anderen Tags gekommen sei, wo es frisches Brot und gute
Bohnen gebe. „Was tut’s,“ erwiderte er, „Gott erbarm’ sich
eurer bei altem Brot wie bei frischem.“ Die kleinen Kloster¬
brüder, die bei der Tafel vorgelesen hatten, ließ er zu sich
kommen, hob sie zu sich in die Höhe und steckte jedem ein
Goldstück in den Mund. Darüber schrie ein kleiner Knabe und
spuckte das Goldstück aus. Der König lächelte und sprach:
„Aus dir wird einst ein braver Mönch werden!“ Als die Kinder
in der Kirche einen Umzug halten sollten, ließ er Äpfel auf
dem Gange ausstreuen, und als nach den lockenden Früchten
auch nicht einmal die Kleinsten die Hände ausstreckten, lobte
er höchlich die gute Zucht und Ordnung. Zum Lohn bekamen
die Kinder für alle Zeiten drei freie Spieltage, die in der
Klosterschule zu St. Gallen viele Jahrhunderte hindurch das
Andenken des freundlichen Königs Konrad bewahrt haben.
66. Die Krönung (Dttos I.
Wilhelm Giesebrecht. Geschichte der deutschen Kaiserzeit. 1. Band. Braunschweig.
Nachdem Otto I., Heinrichs des Ersten Sohn, von den deutschen
Fürsten zum Könige gewählt worden war, bestimmte man, zu Aachen,
in der alten Kaiserburg Karls des Großen, hätten die Herzöge, Grafen
und die vornehmsten Reichsvasallen aus allen deutschen Ländern sich
zu versammeln, um die getroffene Wahl allgemein anzuerkennen und
dem neuen Könige zu huldigen, der dann nach altem Brauch gesalbt
und gekrönt werden sollte.
Und so geschah es am 8. August des Jahres 936. In der Säulen¬
halle Karls des Großen, welche die Kaiserpfalz mit dem Münster ver¬
band, stand sein Marmorstuhl, der Erzthron des Reichs. Hier ver¬
sammelten sich die Großen aus allen deutschen Landen, erhoben Otto
auf den Thron und gelobten ihm unter Handschlag Treue auf immerdar
und Beistand gegen alle seine Widersacher. In feierlichem Zuge, von
den Herzögen, Grafen und Herren begleitet, begab sich dann Otto zum
Münster.
Wer nach Aachen kommt, wird dieselbe Kirche noch heute dort