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Lesestücke für Seminar und Hans.
51. Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne
dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.
(Goethe, Sprüche 197, Werke, Hempcl, 19, S. 51.)
52. Vor den Urphünomenen, wenn sie unseren Sinnen enthüllt erscheinen,
fühlen wir eine Art von Scheu, bis zur Angst. Tie sinnlichen Menschen
retten sich ins Erstaunen; geschwind aber kommt der thätige Kuppler
Verstand und will auf seine Weise das Edelste mit dem Gemeinsten
vermitteln. Die wahre Vermittlerin ist die Kunst.
Goethe, Sprüche, 1049—50, Bd. 19, Hcmpel, S. 229.)
53. Ein echtes Kunstwerk bleibt wie ein Naturwerk für unsern Verstand immer
unendlich: es lvird angeschaut, empfunden; es wirkt, cs kann aber nicht
eigentlich erkannt, viel weniger sein Wesen, sein Verdienst mit Worten
ausgesprochen werden.
(Goethe.)
54. Weil die Welt ein Wunder ist,
Giebt's eine Poesie;
Was ihr nach seinen Gründen wißt,
Reicht an ein Dasein nie.
(Grillparzer, Werke, I., S. 225.)
55. Ter hat's wahrhaftig als Poet
Nicht hoch hinaus getrieben,
In dessen Liedern mehr nicht steht,
Als er hineingeschrieben.
(Geibcl, Werke, 2, S. 12.)
1. Aber die Kunst hat nicht den Zweck der Erhebung, Erbauung, Lffcn-
barung; sie hat nur diese Wirkung.
56. Alle Poesie soll belehrend sein, aber unmerklich; sie soll den Menschen auf¬
merksam machen, wovon sich >zu belehren wert wäre; er muß die Lehre
selbst daraus ziehen, wie aus dem Leben.
(Goethe an Zelter, 1825, IV., S. 108.)
57. Zelter schreibt 23. III. 1827 (Bd. IV., S. 285 f.) an Goethe: In Summa
(wenn ich dich und mich selber verstehe): Aller Zweck der Kunst ist die
Kunst an sich selber, so auch das Kunstwerk. Die Wirkung nach außen
ist verschieden, wie alles Äußere. Goethe antwortet 29. III.' 1827
S. 288): Die Vollendung des Kunstwerks in sich selbst ist die ewige uner¬
läßliche Forderung! Aristoteles, der das Vollkommenste vor sich hatte, soll
an den Effekt gedacht haben! welch' ein Jammer!
(Goethe-Zelter.)
58. Wir kämpfen für die Vollkommenheit eines Kunstwerks, in und an sich
selbst; jene denken an dessen Wirkung nach außen, um welche sich der