Full text: Deutsches Lese- und Bildungsbuch für katholische Präparandenanstalten

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berauschenden Duft aus, Vögel singen von Zweig zu Zweig, in der Ferne 
tönt das Geläut einer Betglocke, oder eine Herde zieht an gerodeter Berg¬ 
wand läutend vorüber, die Bäche eilen rauschend aus dunklen Schluchten 
zu Tale, ein Auerhahn steigt schwerfällig vor uns auf — Waldespoesie 
entfaltet ihren ganzen Zauber. 
An stillen Forsthäusern und Kohlenmeilern vorüber geht's immer höher 
dem Kamm entgegen, bald heimliche Waldtäler überschreitend, dann wieder 
von Felsaltanen sich des stets wachsenden Ausblicks auf Land und Gebirge 
erfreuend. Verfallene, verwunschene Stätten ziehen an uns vorüber, von 
deren bemoostem Steingetrümmer das Volk geheimnisvolle Dinge zu erzählen 
weiß, von Heidenkultus und aus dem reichen Schatz deutscher Sagen- und 
Märchenpoesie. So verrinnt Stunde auf Stunde. Dann bleibt der Hoch¬ 
wald mehr und mehr zurück. Was sich noch höher emporwagt, ist Busch¬ 
werk und verkrüppeltes, am Boden fast hinkriechendes Baumgestrüpp. 
An Stelle des kräftigen Hauch ausströmenden Waldbodens deckt jetzt 
ein blaßgrüner Sammetmantel die freiragenden, mächtig gebuckelten 
Kuppen der höchsten Gebirgsregion, jede Falte und Welle dieses Hochlandes 
gleichsam auspolsternd. Niedrige Hütten, über deren steinbeschwerte 
Dächer sich der blaue Rauch still in den Maienhimmel aufkräuselt, 
zeigen sich dem Auge, daneben rieselt ein Brünnlein, und nirgends fehlt 
der ausgehöhlte Baumstamm als Kuhtränke. Das sind die „Melkerschoppen“, 
Wohnung der Senner und Stallung ihrer Tiere vereinend. Sie geben im 
Verein mit der merkwürdigen Landschaft dem Ganzen Ähnlichkeit mit 
einer Schweizer Bergmatte. 
Das ist ein herrliches Wandern durch eine öde, weltferne, hohe Ein¬ 
samkeit, sobald wir den Kamm erreicht haben, die Scheidelinie zwischen 
Deutschland und Frankreich! Mit eins schauen wir da in beide Länder 
nieder, in das lachende, seenreiche Nachbarland nach Westen und gegen¬ 
über über ein Meer von ragenden Bergen und wogenden Wäldern hinaus 
ins schimmernde Rheintal, zum blauenden Schwarzwald, zu den in 
schimmernder Hoheit wie aus einer anderen Welt aufragenden schnee¬ 
bedeckten Häuptern der ewigen Alpen. Und dazwischen Städte und 
Dörfer, Weiler, Burgen, Kapellen und Klöster ohne Zahl. Überall Blühen 
und Gedeihen, überall Arbeit und Segen! 
312. Altdeutsche WeiHuachtsgebräuche. 
Eugen Mogk. 
Die Advents- und Weihnachtszeit ist eine Zeit, die bei keinem anderen 
Volke in ähnlicher Weise gefeiert wird wie bei uns. Im Mittelpunkte dieser 
Tage steht das Christfest, und dieses ist ein echtes deutsches Familienfest ge¬ 
worden, das sich der Deutsche im Laufe der Zeit gestaltet hat, wie es seinem 
Gemüte am meisten entspricht. Die Feier im engen Kreise der Familie unter 
dem Schimmer des Tannenbaumes, mit dem gleichsam ein Stück Natur in die 
behaglichen Räume des Hauses getragen ist, die Freude am Geben, die Lust 
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