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daß sie ihr Hagen, den Mörder ihres Gatten, den sie allein mit ihrem Hasse verfolgt, als
Geisel ausliefern, da antwortet ihr Gernot voll Entrüstung: „Das wolle Gott vom Himmel
nicht, daß wir unseren Mann verrieten. Und wären wir unser tausend, die zu deiner Ver⸗
wandtschaft gehören, eher wollten wir sämtlich den Tod erleiden, ehe wir dir nur einen
unserer Mannen zum Geisel übergeben.“ Und auch der junge Giselher spricht: „Müssen
wir doch sterben, so wollen wir wenigstens ritterlich sterben“.
Volle Treue bewähren auch Hagen und der kühne Spielmann Volker, die den Bund
der Waffenbrüderschaft miteinander geschlossen haben. Trotzig stehen sie nebeneinander den
Hunnen gegenüber. Wenn sie beisammen sind, so fürchtet ihrer keiner eine Gefahr. Vor der
Tür des Saales, da die Könige schlafen, halten sie genteinsam Wacht, einer auf des anderen io
Hilfe bauend, Volker mit seinem Fiedelspiel den Freund ergötzend. Und als im letzten fürch⸗
terlichen Kampfe, der in Etzels Saale gekämpft ward, Volker von der Hand des Meisters
Hildebrand von Bern erschlagen ward, da dünkte es Hagen das größte Leid, das er bei
Etzels unheilvollem Feste erlebte. Mit wuchtigen Schlagen seines Schwertes brach er sich
Bahn, um den Tod seines liebsten Freundes zu rächen.
Geradezu erschütternd ist es, wenn sich die Pflichten der Mannentreue mit denen der
Freundestreue kreuzen. Rüdiger, der edle Markgraf von Bechelaren, des Königs Etzels
Dienstmann, hat die Burgunden an den hunnischen Königshof geleitet, dem jungen Giselher
hat er seine holde Tochter verlobt, ihnen allen ist er durch die Bande der Freundschaft ver⸗
bunden. Da fordert ihn die Königin Kriemhild auf, gegen die Burgunden zu kämpfen und ꝛ
damit den Eid zu lösen, den er ihr geschworen, den Eid, alles Leid zu rächen, das ihr ange⸗
tan würde. Da fordert der König Etzel, daß er tue, was er als Etzels Mann zu tun
schuldig ist daß er gegen seines Königs Feinde kämpfe. Versagt er der Königin den Dieust,
sie zu rũchen, die Burgunden anzugreifen, so ist er treulos, und sein Leben, das nur dem treuen
Dienst geweiht war, ewiger Schande preisgegeben; leistet er den Anforderungen des Königs, 2*
der ihn bei seiner Mannentreue, der Königin, die ihn bei seiner Eidestreue beschwört, Folge,
so übt er Verrat, Verrat an denen, die er als Freunde und Gesellen nach Hunnenland ge—
leitet, denen er Treue und Hilfe zugesagt, denen er seine Tochter verlobt hat. Da kämpft er
den bitteren Todeskampf der Seele, die zwischen Treulosigkeit und Verrat wählen soll, wählen
muß; da sehen wir ein starkes, treues deutsches Herz zittern in der inneren Todesnot, und 0
es bricht das edle, treue Herz lange zuvor, ehe es von Freundeshand durch die eigene Waffe
den Todesstoß empfängt.
Aber der letzte Kampf wird dem treuen Helden schwer gemacht; auch die Freunde mahnen
ihn seiner Treue, durch die er sie in das Land des Verderbens geleitet habe. Giselher lebt noch
einmal auf in Lebenshoffnung, daß der Vater seiner Verlobten ihnen Treue leisten und Hilfe a
bringen werde; und Rüdiger muß verkünden, daß er der Treue ledig sein wolle und nicht Schut
und Beistand bringe, sondern blütigen Kampf, daß er blutigen Tod für sich suche. Es muß die
alte Treue, die Mannentreue, das Recht behalten vor der neuen Treue, der Freundestreue.
Das wissen auch die Burgunden wohl, und darum uehmen sie mit starkem Herzen Abschied
von der Freundestreue, um die Königstreue für ihre Mannen zu bewahren. Starken Herzens a
nimmt auch Giselher Abschied von der Liebe, die durch die Königstreue geschieden wird für
immer. Aber noch ein Zeichen der nun gelösten Freundestreue wird herübergereicht in den
Todeslkampf der einst Verbundenen; eine Todesgabe, reicht Rüdiger den eigenen Schild von
der Hand Hagen, dem sein Schild im Kampfe zerschlagen ist. Wozu bedürfte auch Rüdiger
des Schildes. er der den Tod sucht, um den Bruch der Treue nicht zu überleben?
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3. Zwei Stücklein aus dem französischen Kriege.
Von W. O. von Horn (H. Oertel).
Die Spinnstube. Ein Volksbuch für das Jahr 1872. Frankfurt a. M. 1872
LI. G. 69.)
Bei der Belagerung von Metz, die unsere braven Soldaten solange nötigte, s0
den beschwerlichen Vorpostendienst zu versehen, welcher durch das schlechte Wetter