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blieben. Nördlich vom Tempelplatz, hinter der türkischen Kaserne, die wohl auf
dem Platz der alten Antonia steht, hat man unter dem alten römischen Triumph¬
bogen, den man seit dem 15. Jahrhundert als den Loos llomo-Bogen zeigt, von
wo Pilatus Jesus dem Volk vorstellte: „Sehet, welch ein Mensch", m der Tiefe
altes Römerpflaster aufgefunden, das zeigt, wie viel tiefer die Straßen damals
lagen. Daß keins der Häuser, die jetzt an den als Kreuzesweg oder: Via dolorosa
bezeichneten Straßenteilen stehen, zur Zeit Jesu gestanden, ist selbstverständlich.
Aber auch die Feststellung dieses Weges ist von sehr zweifelhaftem Recht.. Man
weiß nicht, wo Pilatus das Todesurteil über Jesus bestätigte: in der Antonia, die
den Tempelplatz beherrschte, oder in dem Herodespalast beim Jafator, der auch den
Landpflegern als Residenz diente. Und selbst, wenn das erstere wahrscheinlicher ist,
so ist doch die Lage von Golgatha sehr strittig. Die heutige Via dolorosa, aus¬
gehend von der türkischen Kaserne am Tempelplatz, endigend in der Grabeskirche,
ist erst vom 16. Jahrhundert an nachweisbar.
38. Kamerun.
Karl Chun, Aus den Tiefen des Weltmeeres. Schilderungen von der deutschen Tieffee-Expedition.
Jena i960. S. 79ff.
Schwere Regenwolken verhängten am Morgen des 15. September eine dunkle
Berglandschaft, die düster gegen das in Hellem Sonnenschein rechts vor uns liegende
Fernando Po mit seinem Clarence-Pik abstach. Mit dem Fernrohr wurden bald
die Wipfel graugrün gefärbter Urwaldriesen kenntlich, welche dicht bis an den
Strand herantraten. Hier und da hebt sich eine Kuppe ab, hinter welcher der
Nebel dampft; in verschwommenen Konturen, die oft rasch wieder durch schwärzlich
graue Strichwolken verwischt werden, gibt sich der Steilabsall des innersten Winkels
der Guinea-Bucht kund. Das Ufer umsäumen die weißen Kämme der Brandungs¬
wogen, welche an Klippen oder in engen, tiefeingerissenen Schluchten zu feinem, oft
minutenlang sichtbar bleibendem Nebel zerstieben. Kein Haus, keine Ansiedlung ist
zu erkennen, — nur der tropische Regenwald, wie er in dieser Eigenart gerade für
das Kamerungebirge typisch ist, prägt in ernster Majestät der Landschaft ihren
Charakter auf.
Allmählich gliedert sich die Szenerie. Zwar verhindert eine horizontale, scharf
abgeschnittene Wolkenschicht den Ausblick auf die Höhen, aber in stets wechselnden
Bildern schieben sich bei der Annäherung an Viktoria die dichtbewaldeten Land¬
zungen und Kuppen vor. Die Ambas-Bucht, jene Perle im deutschen Kolonial¬
besitz, gleicht dem dunklen Rahmen eines Hochgebirgssees, aus dem freundlich die
weißen Häuser der Faktoreien und Gouvernementsgebäude hervorleuchten. Sechs
bizarr geformte Klippen, an Größe gegen das freie Meer fast regelmäßig abnehmend,
die Bibia- und Pirateninseln, kontrastieren seltsam mit den anmutig der Bucht
vorgelagerten Eilanden Ambas und Mondole.
Die Einfahrt in die Ambas-Bucht übte einen mächtigen Zauber auf uns alle
aus, da wir wochenlang die Sonne aus dem Meer auftauchen und am fernen