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regende Ketzerei lieh. Aber Dante erkannte wohl mit Recht in ihm den himmelstürmenden
Zweifler namentlich an jener Weltauffassung, die den Papst zur Sonne, den Kaiser zum
Monde im Staatenwesen machte. Und doch ließ der Kaiser sich im Kleide des Zisterzienser¬
ordens begraben als wiederaufgenommener Sohn der Kirche. Deutschland aber zitterte
nach seinem Tode in der inneren Verwirrung des Interregnums; fast ein Vierteljahr¬
hundert war es ohne Kaiser, ohne auch nur einigermaßen anerkannte Einheit. Das
Denkmal dieser Zeit, ein Denkmal der Zerreißung Deutschlands durch die Gewalt der zu
weltlichen Fürsten gewordenen und als solche zuchtlosen Bischöfe ist der Dom zu Cöln:
seinem Gedanken nach völlig entlehnt, ohne hervorragende eigene künstlerische Tat als
die gewaltige Beherrschung der Massen durch ein fest und starr entwickeltes System; seiner
Größe nach ein Siegesdenkmal über die deutschen Lande und den deutschen Geist; ein
Genosse jener französischen Strömung, die damals über das deutsche Schrifttum hereinbrach.
In der Durchbildung der Einzelheiten ist der Cölner Dom ein sehr merkwürdiges
Beispiel raschen Verfalls der Gotik: er ist von einer Klarheit, Tadellosigkeit, Durch¬
sichtigkeit im Entwurf, die ihn einem Werk des Ingenieurs vergleichen läßt. Er ist fast
nur ein Gerüst, ohne ein überflüssiges Glied in voller Verstandesmäßigkeit ausgebildet.
Selbst das nun schon ganz zum geometrischen Spiel gewordene Maßwerk, das in ermüdender
Masse den Bau überzieht, wirkt überall als Versteifung zwischen den Hauptgliedern. Die
Bildung der Säulen und ihrer Knäufe, des Blattwerkes schreitet immer mehr von der
köstlichen Unmittelbarkeit der Beobachtung zu einer schematischen Behandlung fort. Das
wohl abgewogene Verhältnis in den Maßen und in der Höhe zur Breite, das der Blüte¬
zeit französischer Gotik eigen ist, wurde durch die einseitige Betonung der Höhe zerrissen.
Nicht mehr das Sprudeln des Geistes, das Drängen des Gestaltungseifers spricht aus
ihm, das in junger Begeisterung die französischen Dome entstehen ließ, sondern er zeigt
sich als das Werk einer wohleingerichteten kirchlichen Behörde, groß und kalt; nicht das
Denkmal einer schlichten Frömmigkeit, sondern das Bild priesterlicher Schwärmerei; nicht
rein künstlerisch, sondern gesucht, himmelstrebend.
Das beginnende 14. Jahrhundert baute in dem nunmehr feststehenden Stile fort.
Auf den ersten Meister des Cölner Domes, Gerhardt, folgte Meister Arnold, der die
Oberwände des Chores bis 1308 fertigstellte, dann dessen Sohn, Meister Johann, der
1320 die Gewölbe des Chores schloß und den Grund für die Querschiffe anlegte. Nutzer
baute diese bis 1333 weiter. Dann ruhte der Bau fast 20 Jahre. Alle Versuche, Geld
zu beschaffen, gaben kein günstiges Ergebnis. Aber trotzdem begann man unter Meister
Michael (f um 1386) den Turmbau. Doch erst 1437 war der südliche Turm so weit,
daß er die Glocken aufnehmen, daß 1450 der weltberühmte Krähn errichtet werden konnte,
der bis ins 19. Jahrhundert stand. Schon längst war der Eifer der ersten Zeit verraucht,
hatte man sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, den Bau liegen zu lassen, als die
Reformation kam. Nicht sie hat die Vollendung verhindert, sondern es erwies sich eben
alle Macht des Erzbistums nicht groß genug, um das gewaltig angelegte Werk zu vollenden.
Diese Tat blieb einer Geistesrichtung aufbewahrt, die das Mittelalter nicht kannte: „dem
Kunstsinn", der Begeisterung rein für das künstlerische Schaffen, für die des Zweckes
nicht bedürftige Schönheit. Friedrich Wilhelm IV. feierte den Dom 1842 als das Werk
des Brudersinns aller Deutschen, aller Bekenntnisse!