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lichen Gehorsam einer höheren, göttlichen Art ebenso wohl und tüchtig eingeübt
wesen sein, als in den Pflichten und Exerzitien eines weltlichen Militärmannes.
Der Ordensbruder, von dem wir hier sprechen, näherte sich einem der Gaste,
welche dort am Tische des vornehmen Kaffeehauses beisammensaßen; er klapperte
s ein wenig mit seiner eisernen Almosenbüchse und sprach einige Worte, die wohl
manchen gerührt hätten; der stumme Gast aber tat, als sähe und hörte er nichts
von dem allen. So trat er zum zweiten, zum dritten; keiner hörte auf ihn, nur
der vierte fuhr mit der zornigen Antwort heraus: „Siehst du denn nicht, daß wir
gerade sehr beschäftigt sind?"
ro Beschäftigt auf ihre Weise waren die Leute allerdings: sie spielten in der Karte,
und zwar so hoch, daß alle ihre Gedanken an Gewinn und Verlust hingen. Der
Ordensbruder wartete deshalb ein Weilchen, und da der vierte ihm doch wenigstens
eine Antwort gegeben hatte, versuchte er bei diesem sein Glück von neuem; als s»-
eben das Spiel beendet war, klapperte er wieder mit der Büchse und bat im Namen
i5 seiner Kranken und Hilfsbedürftigen um eine Gabe. Der vierte aber, verdrießlich
über sein soeben verlorenes Spiel, wendete sich herum und gab dem Sammler mit
den Worten: „Da hast du etwas, du Unverschämter!" eine sehr derbe Ohrfeige.
Was tat nun wohl der Ordensbruder? Regte sich bei ihm nicht in ganzes
Kraft der Geist jenes Standes, dem er sonst, im gewöhnlichen Leben, angehörte und
r» dessen äußerliche Züge jetzt, vielleicht nur auf etliche Stunden durch das Gewand des
Ordens und durch die Maske des Bartes verhüllt waren? Wie? — durfte er
eine solche niederträchtige, rohe Behandlung ungeahndet lassen? war nicht die Ehre
seines Standes auf eine Weise gekränkt, welche blutige Rache forderte?
Wirklich schien eS auf einige Augenblicke, als ob in dem hart Beleidigten der-
-5 gleichen Gedanken aufstiegen: seine Stirn, von der Röte des Zornes übergössen,
umwöllte sich; sein Arm zuckte. Aber der Mann war an militärischen Gehorsam ge¬
wöhnt; in jenen Augenblicken der natürlichen Aufwallung vernahm er das Kommando¬
wort eines Herrn in seinem Herzen, vor dessen Augen nur die Ehre, die vor Gott
gilt, geachtet ist, die Ehre aber vor dem Menschen als ein Nichts erscheint. Er g^
so horcht dem Kommando, er faßt sich, hoch emporgerichtet steht er vor seinem Beleidiger
da, und mit einem Ton der Stimme, welcher auch dem rohesten Herzen eine unwill^
kürliche Achtung gebietet, spricht er: „Das war für mich; — jetzt aber, mein Herr,
geben Sie mir auch etwas für meine hungernden Armen und Kranken, welche heute
mit Nahrung und Erquickung versorgt werden müssen".
85 Einer solchen Macht des hohen Selbstbewußtseins und guten Gewissens gegen¬
über — wird es dem rohen Beleidiger ganz sonderbar zumute; er wirft die Karten
hin, springt von seinem Stuhle auf, umarmt den Almosensammler — und gibt, denn
die Lust am Spiel ist ihm vergangen, all das Geld, das er eben bei sich führte,
zur Linderung der fremden Not hin. Auch die anderen Gäste am Spieltische, wie inl
40 Zimmer, großenteils reiche und vornehme Müßiggänger, reichten dem hochherzigen
Empfänger der Ohrfeige ungewöhnlich ansehnliche Gaben für seine Kranken dar. &
selber aber, der Almosensammler, herzlich dankend, ging seines Weges mit einer Träne
im Auge, welche ihm nicht der Unmut oder der Schmerz über die erduldete llW
Handlung, sondern die Freude über den Sieg jener Liebe ausgepreßt hatte, welche
« dem Menschen schon das Sein der Erde zu einem Vorhof des Himmels macht.
211. Mein Vaterland. (21. Oktober 1839.)
Von H. Hoffmann von Fallersleben.
Gedichte. Auswahl. Hannover 1862. S. 359.
1. Treue Liebe bis zum Grabe
so Schwor' ich dir mit Herz und Hand;
Was ich bin und was ich habe,
Dank' ich dir, mein Vaterland.
2. Nicht in Worten nur und Liedern
Ist mein Herz zum Dank bereit;
Mit der Tat will ich's erwidern
Dir in Not, in Kampf und Streit.