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wie schmetternd wieder ist der Schlag der Nachtigall! Wir können
uns gar nicht satt hören an ihrem Trillern, und es thut uns
ausrichtig leid, daß sie so früh im Jahre verstummt und so bald
von uns wegzieht. — Aber auch das Zwitschern der Grasmücken,
der Schlag der Finken sind nicht zu verachten, und vollends das
Abendlied der Amseln und Drosseln, welches aus dem Walde
schallt, ist mir lieber als manche Musik. Ist es nicht, als sängen
die Vögel nur, um ihren Schöpfer zu preisen, weil er die Welt
so schön gemacht hat?
Und doch gibt es so viele Menschen, welche die Sänger
stören, verfolgen und dazu beitragen, daß die Schönheit der Natur
von Jahr zu Jahr abnimmt. Hört man doch jetzt schon in manchen
Gegenden keine Nachtigall, keine Amsel mehr; ziehen sich doch die
verfolgten Stare, Drosseln, Ammern immer weiter aus den an¬
gebauten Gegenden zurück. Die meisten Städter kennen die
Vögel und ihre Stimmen nur aus den Käfigen in den Zimmern
und vor den Fenstern. Daß die armen gefangenen Vögel in
diesen Gefängnissen nicht recht froh werden und nicht so lieblich
singen können als in der Freiheit, bedenkt man nicht; daß die
Sänger hinter diesen Drahtgittern trotz aller Pflege kein so hohes
Alter erreichen, ja daß ihre schönen Farben oft vor der Zeit ver¬
bleichen, danach fragt man nicht. Das schlimmste ist aber, daß,
um den Liebhabern der Singvögel in den Städten ihre Käfige
füllen zu können, so viele Vögel weggefangen, so viele Nester
ausgehoben werden und dadurch die Zahl der Sänger im Freien
merklich abnimmt.
An dem Gesänge der Vögel sollte jedermann teilhaben, wie
an dem Genusse der Luft und des Wassers und an dem Anblick der
Sonne und der Sterne. Und wenn es zuletzt nur jeder, der
Vögel fangen und auffüttern will, verstünde, sie nicht quälte, be
schädigte oder verkommen ließe! Aber da gibt es Knaben, welche
jedem Vogelnest nachstreben, gleichviel ob sie dessen Bewohner
benutzen können oder nicht. Schon die Eierchen lassen sie nicht
in Ruhe und verscheuchen oft die ängstlichen Alten davon.
Vollends die Jungen! Kaum sind diese aus den Eiern ausge¬
schlüpft, so nehmen sie die Knaben in ihre ungeschickteil Hände
und drücken sie oder erkälten sie wenigstens; denn die jungen