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138. Die Feinde der gesellschaftlichen Ordnung.
Lieber Fritz!
Du schreibst mir, Du hörtest so oft von der „sozialen Frage“, ohne
zu wissen, was für ein Ding das sei. Nun, ich will versuchen, Dir das zu
erklären.
„Soziale Frage“ heißt so viel als „gesellschaftliche Frage“, nur daß
Du dabei nicht an eine gewöhnliche Gesellschaft zu denken hast, sondern an
die Staatsgesellschaft, welche die Gesamtheit des Volkes bildet.
Aber in dieser Gesellschaft sind nicht alle gleichgestellt und viele unzu—
frieden mit der Stellung und Behandlung, die ihnen zu teil wird. Du
bist zufrieden mit deinem bescheidenen Lose, das weiß ich; aber wie alle
zufrieden zu stellen seien, das ist eben die Frage, die man die gesellschaftliche
oder die soziale Frage nennt. Und die diese Fragen am lautesten im Munde
führen und mit einem Schlage gelöst wissen wollen, das sind die Sozialisten.
Wie suchen nun die Sozialisten ihre Pläne zu verwirklichen? Zunächst
gehen sie darauf aus, einen Anhang zu gewinnen, je größer, desto besser.
Ihre Reiseapostel ziehen von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf. Den
kleinen Leuten wird nun vorgeredet, daß sie Hunger und Kummer leiden
müßten. Anfänglich kommt ihnen das wunderlich vor; aber Du weißt ja,
als man jenem Bauer lange genug vorgeredet hatte, daß sein Kalb eine Gans
sei, glaubte er es selbst. Und wenn der kleine Mann es erst oft genug
gehört hat, so zweifelt er nicht mehr daran, daß er dazu verdammt sei, zeit—
lebens am Hungertuche zu nagen. Sind so die Menschen mit sich und ihrer
Lage unzufrieden gemacht, so ist der erste Schritt erreicht, und es folgt der
zweite. Es wird ihnen glaubwürdig gemacht, daß ihre Nebenmenschen es
sind, denen sie ihre vermeintliche traurige Lage zu danken haben. Der Knecht
und Arbeiter wird gegen seinen Brotherrn, der Lehrjunge und Geselle gegen
seinen Meister aufgehetzt. Es heißt, die Herren verlangen zu viel Arbeit
und geben zu wenig Lohn. Gegen alles, was Herrschaft heißt, wird ein
grimmiger Haß gesät. Nun wär's vielleicht ein Schritt von der Gesinnung
zur That; allein da ist die Obrigkeit, welche mit fester Hand und scharfem
Blick auf Zucht und Ordnung hält. Und hinter ihr steht das große herr—
liche deutsche Heer, das seinen Fürsten und sein Vaterland noch nimmer im
Stiche gelassen hat und den Wühlern und Hetzern bald die Mäuler stopfen
und die Fäuste lähmen würde. Und weil es eben der Staat ist, welcher
das Heer gebildet und für böse Fälle in Bereitschaft hat, so geht im letzten
Grunde der Haß der Sozialisten auf den Staat, auf seine Anordnungen
und Einrichtungen. Sie sind überzeugt: ist der nur vernichtet, d. h. Krone
und Thron genommen, die Obrigkeit verjagt, der letzte Polizeidiener ver—
trieben, dann haben sie gewonnenes Spiel.
Schließlich aber fürchten sie doch noch eins: den gesunden und frommen
Sinn des Volkes. Den hat es aus der heiligen Schrift erworben und ge—
wonnen. Aus derselben weiß es: „Arme und Reiche müssen miteinander
sein, und Gott hat sie alle gemacht! — Was hülfe es dem Menschen, so er