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Gesetztenfalls, die Sozialisten sollten das Ziel ihrer Wünsche erreichen.
wie würde es dann in der Welt aussehen? Zunächst würden sie einen Staat
gründen, dessen Namen sie schon erfunden haben, nämlich den Volksstaat.
Rang und Stand haben darin aufgehört, ebenfalls Armut und Reichtum.
Der Minister wäre und hätte so viel als der Nachtwächter. Alle hätten
gleiche Pflichten und gleiche Rechte. Jeder hätte die Hauptpflicht, accurat
so viel zu arbeiten wie der andere, und das Recht, accurat so viel zu ver—
dienen wie sein Mitbürger. Die Gesetze werden vom Volke gegeben und
überwacht. Der Staat gründet Fabriken; was dieselben einbringen, wird
gleichmäßig unter die Arbeiter verteilt. Der Leiter der Fabrik erhält keinen
Pfennig mehr als derjenige, welcher die Räder schmiert. Der Acker wird
nach Verhälinis unter die Stadt- und Landbevölkerung verteilt. Alle Ein—
wohner eines Dorfes beackern ihr Feld gemeinschaftlich. Ist das Getreide
verkauft, wird das eingenommene Geld ebenfalls gleichmäßig unter alle ver⸗
teilt. Keiner erhält einen Pfennig mehr oder weniger als der andere. Alle
Schulen sind frei. Schulgeld wird nicht bezahlt. Jeder Schüler hat das
Recht, die höchsten Schulen zu besuchen. Kirchen und Kirchendiener sind ab—
geschafft. Theater und öffentliche Gärten stehen unentgeltlich jedem offen.
Ist so ein Volksstaat nicht unübertrefflich herrlich? Ja, auf dem
Papiere. Überlegen wir nun einmal, wie sich die Wirklichkeit machen wird.
Zunächst, was nennt der Sozialist Arbeit? Im Grunde nur diejenige
Thätigkeit, wozu feste Knochen und eine starke Faust gehören. Eine
Thätigkeit, die einen klaren Kopf, ein warmes Herz und eine gefährliche
Verantwortlichkeit erfordern, erkennt der Sozialist als Arbeit nicht an. Der
Minister hinter seinem Arbeitstische, der Schreiber hinter den Akten, der
Schriftsteller vor seinem Pulte, der Lehrer in der Schule sind Faulenzer.
Wir wollen uns also denken, der Volksstaat sei fertig, und das Volk habe
sich über alle nötigen Gesetze bereits geeinigt. Zunächst müßte nun jemand
da sein, der die Verwaltung übernähme, ganz gleich, ob als Präsident, Konsul
oder Direktor. Allein kann der Mann die Arbeit nicht bewältigen. Es
müssen ihm Männer zu Hilfe gegeben werden. Wäre so eine Behörde
gebildet, würde sie doch nicht genügen. Wie sollte sie den ganzen Volksstaat
übersehen können? Andere Behörden wollen dazu eingesetzt sein: eine, welche
die Geldangelegenheiten besorgt, eine andere, welche bei Streitigkeiten Recht
spricht, eine dritte, welche Fabrikangelegenheiten ordnet, eine vierte, welche
das Ackerbau⸗, eine fünfte, welche das Schulwesen in Händen hat. Aber,
Fritz, ein Beamter muß mehr gelernt haben als ein Wagenschmierer. Dieser
hat vielleicht von seinem 15. Lebensjahre an gleichen Lohn mit den anderen
verdient, jener wenigstens 10 Jahre länger keinen Pfennig erhalten und
dabei vielleicht Nächte hindurch lernen müssen — und doch soll die Arbeit bei⸗
der gleich hoch bezahlt werden. — Fritz, was würdest Du in diesem Falle
vorziehen: deine Jungen Minister oder Wagenschmierer werden zu lassen?
Ich glaube letzteres. Und so würden auch wohl die allermeisten Bürger
eines Volksstaats denken. Folglich würde es diesem bald an tauglichen
Beamten fehlen, und diese müßten durch solche, welche für die Händearbeit un⸗
tauglich sind, durch Krüppel, Lahme, Blinde u. s. w., ersetzt werden. Ein
Lesebuch füͤr städt. Fortbildungsschulen. 21