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betrifft, an dessen Hand es, unter schwierigen Verhältnissen und darum nicht
ohne Opfer von seiner Seite, im Laufe der Jahrhunderte, vorzüglich aber
unter seinen Königen, zu der gegenwärtigen Stellung und Blüte gehoben
wurde, und dessen 1886 verblichener König Ludwig II. die hohen Verdienste
seiner Ahnen mehrte, indem er 1871 Bayern als einen der festesten Grundsteine
in den Neubau des deutschen Reiches einfügte. Mit berechtigtem Stolze und
aufrichtiger Freude blickte daher das bayerische Volk am 16. September 1880
auf den Ehrentag seiner geliebten Königsfamilie, an welchem volle sieben Jahr—
hunderte un Strome der Zeit vorübergerauscht waren, seit Fürst und Volk in
sonnigen wie in trüben Stunden zusammenstanden, und die Wittelsbacher ohne
Unterbrechung glorreich und segensvoll über Bayern herrschten — ein Jubiläum,
wie es bisher weder Deutschland noch selbst Europa erlebt hatten.
b. Bilder aus der Fremde.
1. Der Winter in Petersburg.
Georg Kohl.
Im Jahre 1836, im Monat Dezember, warf jemand in Moskau eine
Apfelschale zu einem kleinen Luftfenster hinaus. Dieselbe langte nicht auf der
Straße an, sondern blieb zufällig auf dem Rande der Fensterbrüstung hängen
und fror hier sogleich fest. Sechs Wochen hindurch sah man diese Apfelschale
steif gefroren über dem Abgrund schweben, ohne daß auch nur ein einziges Mal
eine warme Witterung sie erreicht hätte. Endlich, am Anfange des Februar,
sechs Wochen und drei Tage, nachdem sie zum Fenster hinausgestürzt war,
taute sie beim warmen Sonnenschein auf uͤnd fiel, ihren vor sechs Wochen
begonnen Sturz vollendend, auf die Straße hinab. — Gewiß ein anschaulicher
Beweis von der eigensinnigen Ausdauer des moskowitischen Klimas.
In Petersburg kann Aehnliches sich nicht ereignen, denn in dem sumpfigen
Newa Delta hat das Klima nicht die Unveruͤnderlichkeit des mittleren Rußland.
Die mildernden Einflüsse der Ostsee stellen sich hier noch oft den eisigen Winden
entgegen, welche Sibirien schickt. Dennoch aber fällt das Thermometer in Peters—
burg häufiger auf niedrigere Grade herab, als in Moskau. Das Klima von
Petersburg schwankt beständig zwischen Extremen. Im Sommer steigt die Hitze
und im Winier der Frost bis auf dreißig Grad. Es gibt dies eine Ent—
fernung der äußersten Punkte von sechzig Grad. Bei keiner anderen Stadt in
Europa sind die Unterschiede so groß. Gewöhnlich geht aber das Leben im
Winter, es mag regnen oder schneien, frieren oder tauen, seinen alten,
gewohnten Gang. Tag für Tag knistern die Birkenbäume im Ofen, einen
Tag um den anderen rutschen die Schlitten in den Straßen herum, beständig
werden die öffentlichen Wärmstuben für die armen Leute geheizt, und regelmäßig
die öffentlichen Feuer auf der Straße in der Nähe der Theater, für die Kutscher
u. s. w. unterhalten. Nur wenn die Kälte ausnahmsweise zu außerordentlicher
Höhe steigt, treten bedeutende Veränderungen in der Bewegung auf den Straßen
ünd im Anblick des Ganzen ein. Wenn es heißt: „das Thermometer ist auf
20 Grad herabgesunken“, dann spitzt man die Ohren, beobachtet den Wärme—
messer und zählt die Grade. Bei 23 bis 24 Grad wird die Polizei aufmerksam
die Offiziere machen Tag und Nacht die Runde, um die Schildwachen und
Butschniks wach zu erhalten und die im Schlafe Ueberraschten auf der Stelle