Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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207. 
Sonnenanfgang. 
(Von Matthias Claudius.) 
Da kommt sie her, der Berg frohlocket laut Er sitzt dort hoch in stiller Einsamkeit 
und bringt ihr seinen Rauch! und sinnt auf unser Wohl, 
Das Thal frohlockt, geschmückt wie eine Braut, Den großen Schoß vollWohlthat weit und breit, 
und wir frohlocken auch. und beide Hände voll. 
Und sieht herab auf Sterne, Land und Meer 
mit unverwandtem Blick, 
Sieht seine Kinder alle rund umher, 
ihr Elend und ihr Glück. 
O du Barmherziger! du Gnädiger! 
barmherzig für und für! 
Du Gnädiger, o du Barmherziger! 
Herr Gott, dich loben wir! 
Ihm wird's nicht Tag, er hat kein Schlafgemach; 
er schläft und schlummert nicht! 
Sein Vaterherz ist ewig, ewig wach, 
und ewig Lieb und Licht! 
208. 
Sonntagsstille. 
Won Gottfried Kinkel.) 
Laß sinken mich in dein Erbarmen, 
o Herr, so mild noch im Gericht! 
Verstießest du doch uns, die Armen, 
ganz aus dem Paradiese nicht. 
Wohl galt's, die Jugendheimat meiden 
und sich mit Knechtesarbeit mühn, 
Doch ließest du in bangen Leiden 
am Sabbath uns noch Eden blühn. 
Wie in des ersten Tages Glanze, 
geboren aus dem Schoß des Nichts, 
Die Erde hold im Jugendkranze 
sich sonnte in dem Strahl des Lichts; 
Wie sie dein Auge da beglückte, 
und alles war vollkommen gut, 
So schön, daß es dich selbst entzückte, — 
denn ach, noch floß nicht Abels Blut: 
Svo haftete von jener Wonne 
ein Abglanz noch auf diesem Tag; 
Stillfriedlich in der Abendsonne 
liegt noch die Flur, wie dort sie lag. 
Der Berge altergrauter Rücken 
borgt von dem Abendsonnengold 
Ein trunken Rot, um sich zu schmücken 
mit Jugendblüte, frisch und hold. 
Der Friede Gottes waltet! Heute 
hörst du den Schmerzlaut nicht des Tiers, 
Nicht flieht das bange Wild die Meute, 
es fiel das Joch vom Hals des Stiers. 
Die Vöglein leis und feierndaschlagen, 
so seltsam spielt der Abendwind, 
Als wollt er ein Geheimnis sagen 
von ew'ger Huld dem Gotteskind. 
Und wie Natur in frommer Feier 
geschloss'nen Auges betend steht 
So von dem Erdenstaube freier 
ruht auch die Seele im Gebet. 
Ein Frieden ist in sie ergossen, 
sie fühlt von Schuld und Gram sich rein; 
Die Zukunft ist ihr weit erschlossen 
und liegt im morgenroten Schein. 
Ich weiß, noch wird ein Sabbath kommen, 
nach dem des Glaubens Sehnsucht ringt, 
Nach dem in Demut schaun die Frommen, 
der ganz uns Eden wiederbringt. 
Wenn erst der letzte aller Heiden 
als Bruder an das Herz uns fällt, 
Wenn wir die letzte Garbe schneiden: 
dann ist vollbracht das Werk der Welt. 
Noch eine Ruhe soll dir werden, 
o Volk des Herrn! Sie ist nicht fern; 
Denn schon erglänzt auf weiter Erden 
das Kreuz als ewger Morgenstern. 
Getrost, getrost! bald ist verronnen 
der Weltenwoche Sturmeslauf; 
Im Osten graut mit hellern Sonnen 
der Weltensabbath schon herauf.
	        
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