Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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mit noch größerer Gefahr hinabsteigen, und wenn er endlich sich und alles in 
Sicherheit gebracht hat, so sind wenige Gulden der Preis seiner Anstrengungen, 
ein Preis, den er auf andere Weise ohne Gefahr und mit geringerer Mühe 
hätte gewinnen können. Aber eben die Gefahr ist es, die ihn reizt; er würde 
die Beute verschmähen, wenn er sie nicht auf eben diese Art erobern müßte. 
Er weiß, daß sein Leben auf dem Spiele steht; er weiß, daß gar oft das ge— 
ängstete Tier, wenn es keinen Ausweg sieht, sich mit größter Gewalt seinem 
Verfolger entgegenwirft und ihn in den Abgrund stürzt; er weiß, daß kein 
Jdahr ohne solche Unfälle, Unfälle der schrecklichsten Art, vergeht; und dennoch 
kühlt das alles seinen Eifer nicht ab. Es ist also gewiß, daß diese großartige 
und erhabene Natur auch auf die Menschen einwirkt, und ihnen einen Charakter 
aufdrückt, der ihrer eigenen Beschaffenheit angemessen ist. — 
Allerdings, sagte ein eifriger Naturforscher, wo die Gefahr eine ge— 
wöhnliche Erscheinung ist, ist es auch der Mut. Auf meinen Reisen durch 
Nordamerika bin ich in Gegenden gekommen, wo die auf unermeßlichen 
Strecken dünn zerstreuten Bewohner keine Nacht vor den Besuchen von Wölfen, 
Bären und anderen reißenden Tieren sicher waren. Sie hielten daher immer 
Feuer vor ihren Hütten, und auch das reichte nicht immer hin, die hung⸗ 
rigen Gäste abzuhalten. Es ist aber auch unglaublich, mit welcher Kühnheit 
die Einwohner jener Gegenden ihre Feinde bekämpfen, und, ebenso wie eure 
Gemsjäger, um geringen Gewinnes willen ihr Leben aufs Spiel setzen. 
Ich kam einstmals, fuhr er fort, auf meinen botanischen Wanderungen 
in den blauen Bergen gegen Abend in ein einsames Haus, um mir ein 
Nachtlager auszubitten. Die Gastfreiheit ist bei diesen Einsiedlern zu Hause, 
wie bei allen Bergbewohnern, und dort vielleicht um desto mehr, je seltener 
die Gelegenheit zu ihrer Ausübung kommt. Beim Eintritt in das Haus 
war das er“. was mir in die Augen fiel, ein Bärenfell von ungewöhn— 
lichem Maße, das ẽ vor kurzem abgezogen schien. Auf der Hausflur 
waren einige Frauen beschäftigt, Fleisch einzusalzen und in eine Tonne zu 
legen, wobei ihnen ein muntrer elffähriger Knabe hilfreiche Hand leistete. An 
den Wänden hingen Fischnetze und mancherlei Gewehr umher, und an der 
Decke war ein ausgestopfter Adler schwebend aufgehangen. Meine Bitte um 
ein Obdach wurde freundlich aufgenommen. Der schwarzäugige Knabe öffnete 
mir das Wohnzimmer, wo der Vater auf einem Lehnstuhle saß und mich 
willkommen hieß, zugleich aber um Verzeihung bat, daß er mir nicht entgegen— 
komme. „Ich bin seit einigen Tagen invalid,“ fuhr er fort, „aber mein Sohn 
wird die Pflichten erfüllen, die mir obliegen würden. Billh, rücke dem Herrn 
einen Lehnstuhl ans Kamin.“ 
In kurzem war ich einheimisch hier. Ein Mädchen reichte mir Thee, 
und der Knabe röstete ein Brotschnittchen am Kaminfeuer. Bald war auch 
ein Gespräch im Gange. Da erfuhr ich denn aus dem Munde meines Wirtes 
als Ursache seiner Lähmung folgende Geschichte. „Vorige Woche,“ sagte er, 
„ging ich mit meiner Flinte auf die Entenjagd. Auf dem Heimwege — 
die Sonne stand schon am Rande der Berge — sah ich einen Bären von un— 
gewöhnlicher Größe — Sie werden sein Fell draußen gesehen haben — ganz
	        
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