61. Das Königtum in der deutschen Sprache.
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unserer Vorfahren hat die weisere Naturkunde unserer Tage in eine
Königin verwandelt.
Der wirkliche König ward, je umfangreicher die Staaten und je
verwickelter die Staatsgeschäfte wurden, dem Volke immer in größere
Ferne gerückt, er konnte nicht überall mehr gegenwärtig sein, nicht alle
Volksgenossen mehr persönlich kennen, wie ehedem im kleinen Volks—
stamme. Da schuf sich das Volk zum Ersatz als Abbild ihrer Herrlich—
keit allerlei Könige teils im Scherz, teils mit einem ernsten Anstriche.
So erwählten sich die Spielleute und Sänger, das fahrende Volk, mit
dem die seßhafte Obrigkeit schwer auskommen konnte, in verschiedenen
Gegenden Deutschlands einen „Pfeiferkönig“, der von der Obrigkeit in
gewissen Beziehungen anerkannt und wohl auch als richtiger Vertreter
des ganzen Standes angesehen wurde. Er hatte dafür zu sorgen, daß
kein Spielmann zu irgend einer Kurzweil zugelassen würde, der nicht
zuvor in die Brüderschaft aufgenommen worden war, und schlichtete
auch die unter den Genossen entstandenen Streitigkeiten. In anderen
Berufsgenossenschaften finden wir Ähnliches, so bei den Seilern, den
Leinziehern an der oberen Elbe, den Maurern. Viel häufiger ward aber
ein König in Scherz und Spiel sowohl von den Erwachsenen als auch
von den Kindern ernannt. Noch heute hat sich der Schützenkönig beim
Vogel- oder Scheibenschießen erhalten, und man fordert nicht minder
die Haupttugend der alten Könige von ihm, die „Milde“ in altdeutschem
Sinne (Freigebigkeit). Auf dem Lande gab es Ernte- und Pfingst⸗
könige. Von Bedeutung ist ferner der König in Unterhaltungs- und
Glücksspielen.
Jetzt dient das Wort auch dazu, um in gewissen Lebenskreisen den
Hervorragendsten, Besten, Mächtigsten zu bezeichnen. Luther hieß bei
seinen Feinden der Ketzer-, bei seinen Freunden der Predigerkönig; den
Liederkomponisten Franz Schubert pries man als den Liederkönig;
Alfred Krupp verdiente sich den Ehrennamen des Kanonenkönigs. Auf—
fällig ist, daß unter den Dichtern, Malern, Bildhauern u. a. keiner
diesen Namen als unzweifelhaften Besitz erworben hat, man spricht
höchstens von Fürsten auf diesen Kunstgebieten. In treffender Be—
ziehung finden wir das schöne Wort, wenn der Deutsche seinen Rhein
feiert als König der deutschen Ströme, oder wenn wir vom höchsten
Gipfel eines Gebirges als dem König der Berge reden.
In vielen zusammengesetzten Wörtern tritt ferner auch „König“
als Bestimmungswort auf; so zählt das Grimmsche Wörterbuch mehr
als anderthalb hundert Wörter auf, die etwas, sei es Ding, Eigenschaft
oder Person, dem König Eigentümliches, Zukommendes ober von ihm
Herrührendes bezeichnen. Zuerst sind es solche, die sich ohne weiteres
selbst erklären und in alltäglichem Gebrauche stehen, wie Königreich,
Königsschloß, Königsherz. Einige sind jetzt veraltet; so war küniegerto
ein schöner deutscher Name für das griechische „Scepter“, kuninghelm