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Lehrgedichte.
Zu sein begehrest, einen festen Stand
Der Sorge Pein, der Arbeit Schweiß nicht
scheuend.
Dann aber blick hinaus mit freier Stirne
In Gottes weite Welt, und laß Dein Herz
An allem Großen, Schönen sich erlaben!
Muß mit zum Abgrund gehen.
Will gar kein And'rer mit Dir sein,
So tritt seitab und steh' allein! Lappe.
100. Edelste Männlichkeit.
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Natur, die große Mutter, führt die Pflanze,
Das Thier in's Leben ein und leitet sie
Mit fester Hand durch ihres Daseins Dunkel
Bis an das Ziel. Den Menschen führt
sie auch
In's Leben ein; dann aber reicht sie ihm
Die Fackel der Vernunft und heißt ihn selbst,
Obwohl ihm leise stets zur Seite wandelnd,
Den Pfad erspäh'n, der ihn zum Ziele bringt.
Das ist Dein Nachtheil gegen Thier und
Pflanze,
Das ist Dein hoher Vorzug auch, o Mensch!
1 An dem Mann erweist sich Eines,
Edelstes der Männlichkeit,
Und es ist von Allem Keines,
Das ihm solche Würde leiht.
2 Was er wolle, wie er strebe,
Wie er wirkt und gibt und nimmt,
Was ihn preise, was erhebe,
Dies nur seinen Werth bestimmt.
3 Ist es Adel der Gestaltung,
Hohes Antlitz, männlich schön?
Ist es jene hehre Haltung,
Stets mit Lust und Neid geseh'n?
4 Ist. es Kraft, der, kühn vermessen,
Sicher, was sie will, gelingt?
Geistesmacht, wie selbst vergessen,
Die das fernste Ziel erschwingt?
5 Isls Erforschung aller Schätze,
Die ihm Höh' und Tief' erschließt?
Prüfung, Kenntniß der Gesetze,
Draus des Weltalls Kreisung fließt?
6 Nein, es ist von allen diesen
Keine Würde, die am Mann
Sich als Edelstes erwiesen,
Als das Schönste, was er kann;
7O, es ist wie Schattenkühle
In des Eichwalds Einsamkeit:
Demuth bei dem Hochgefühle
Hoher Kraft und Tüchngkeit.
6.
Und wenn Du so, die Götterfackel tragend
Die Wege suchst zu reiner Geisterhöhe,
Vergiß der Mutter nicht, die leise Dir
Zur Seite geht; sei ihres Winks gewärtig,
Wenn vor Gesfahren sie Dich warnt.
Ein Doppelwesen bleibt der Mensch, so lang'
Er noch in seinem Erdenkleide wallt;
Und schöne Menschheit blüht nur, wo Natur
Und Freiheit sich mit Schwesterlieb' um—
fangen. V.
Smets
99. Nicht wie die Welt.
1014. Der Frühlingssaal.
LNicht wie die Welt — was weiß die
Welt? —
Nicht wie die Welt verlanget,
Sie, die den Sinn auf Täuschung stellt,
Mit buntem Scheine pranget,
Nicht wie die Welt begehrt und liebt,
Nein handle, wie das Herz es gibt.
2 WVas hast Du von der Gleißnerei
Und all den glatten Lügen?
Den Schelm wird doch, wie klug er sei,
Ein klüg'rer Schelm betrügen.
Spitzbuberei ist eiller Wahn,
Grad' aus bleibt ewig wohlgethan.
3 Nein, weil die Welt im Argen liegt,
Sollst Du im Guten stehen.
Wer sich zum losen Strudel fügt,
Nun ist ein großer Wundersaal eröffnet,
Der Frühlingssaal! so groß, daß See und
Inseln,
Die Zauberfluren Hindostans, die Gärten
Alkinous', das Vorgebirg der Circe,
Die Hügel Troja's, und Dein Vaterland
Wie lleine Kindergärtchen drinnen liegen!
So alt, daß Abel ihn erkennen würde;
So neu, daß ihn der Silbergreis bestaunt,
Der achtzig Mal durch seine Pracht ge—
wandelt;
10 So warm, daß Vathseba noch einmal gern
Umweht von seinen Duften badete;
So reich, daß Salomo nur schauen möchte
Den Weinstock Augen und die Feigen Blätter