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aber wandten sich und kämpften so wacker, daß nach der dritten Stunde auch
nicht ein einziger von den 20,000 Mauren noch am Leben war. Aber unter¬
dessen waren auch die Andern herangekommen und die ermatteten Franken
mußten abermals gegen diese kämpfen. Da fielen sie vom Größten bis zum
Geringsten, einige durch den Speer, andere durch das Schwert, andere durch
die Streitart und wiederum andere durch Pfeile und Wurfspieße. Manche
wurden auch lebendig geschunden, andere verbrannt und an Baumen aufge-
hangt. Daraus zogen sich die Mauren eine Strecke zurück.
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Roland aber war noch nicht gefallen, sondern als die Heiden sich zurück¬
zogen, kehrte er zurück und forschte, wie es mit den Seinen stünde. Da erblickte
er einen Mauren, der kampfesmüde sich in den Wald zurückgezogen hatte und,
dort ausruhete. Sogleich ergriff ihn Roland lebendig und band ihn mit vier
starken Stricken an einen Baum. Dann stieg er auf eine Anhöhe, um sich
nach den Feinden umzusehen und als er erkannt hatte, daß ihrer viele in der
Nahe waren, stieß er in sein gewaltiges Horn, um die Franken zu rufen, welche
etwa noch leben und sich verloren haben möchten. Da versammelten sich un¬
gefähr hundert um ihn und mit diesen stieg er wieder hinab in's Thal Ron-
ceval. Als er zu dem Mauren kam, den er vorher gefesselt hatte, band er ihn
los und erhob die entblößte Klinge seines Schwertes über das Haupt des
Gefangenen und sprach zu ihm: „Wenn du jetzt mit mir kommst und mir den
Marsilies zeigst, so sollst du das Leben behalten; wenn aber nicht, so mußt du
sterben." Damals kannte Roland den Marsilies noch nicht. So ging denn der
Maure voran und Roland folgte ihm und der Gefangene zeigte ihm bald in
der Ferne unter den Reihen der Mauren den Marsilies, der auf seinem Roth-
fuchs saß und den runden Schild schwang. Da ließ Roland seinen Gefangenen
entweichen, er betete zu Gott und stürzte sich dann mit seiner kleinen Schaar
auf die Mauren. Einer von diesen kam zu Roland heran, der war größer und
starker als die Andern; aber Roland faßte sein Schwert und spaltete ihn mit
einem Hiebe vom Scheitel an, also daß rechts und links vom Pferde ein
halber Maure niedersank. Da erfaßte Schrecken die Andern, sie eilten davon
und ließen Marsilies mit wenigen Begleitern allein im Felde. Roland aber
vertrauete auf Gott und aus die Kraft seines Armes und drang in die Reihe
der Mauren, gerade aus Marsilies los. Der begann zu fliehen, aber Roland
erreichte ihn und schlug ihn mit starker Hand, also daß auch Marsilies hinfiel
und starb.
Aber unterdessen waren die hundert Begleiter Rolands, die vom Fran¬
kenheer noch übrig waren, alle gefallen und Roland selbst war von vier Spee-
ren und vielen Steinwürfen hart verletzt und nnr mit Mühe gelang es ihm,
zu entkommen. König Karl aber war mit seinem Heere schon über die Spitze
der Berge hinüber und wußte nichts von dem, was in seinem Rücken geschah.
Da irrte der gewaltige Held Roland kampfesmüde und tief bekümmert um
den Untergang eines so herrlichen Heeres einsam umher und kam bis an den
Fuß des Berges, welchen er nicht mehr zu übersteigen vermochte. Dort stand
ein Baum neben einem Marmorstein, dort sprang Roland vom Pferde und
überdachte sein Geschick. Noch hatte er sein Schwert Durenda, das herrliche
und leuchtende, von kostbarer Arbeit, scharf zugleich und stark, das nur Ro¬
lands Arm mit rechter Kraft schwingen konnte. Den Namen Durenda hatte