Full text: Für die mittleren Klassen höherer Lehranstalten incl. Obersecunda (Teil 2, [Schülerband])

Musterbeispiele deutscher Prosa. 
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aneignen, was in den fernsten Erdstrichen erforscht wird, und so in 
seinem Innern eine Welt sich schaffen, welche das Werk seines Geistes, 
frei und unvergänglich wie dieser, ist. 
74. Der Kuhbaum. 
Ansichten der Natur. Stuttg. 1849. 
Wir gingen von Porto Cabello in die Thäler von Aragua!) 
zurück und hielten wieder auf der Pflanzung Barbula an, über welche 
die neue Straße nach Valencia geführt wird. 
Wir hatten schon seit mehreren Wochen von einem Baume sprechen 
hören, dessen Saft eine nährende Milch ist. Man nennt ihn den 
Kuhbaum?), und man versicherte uns, die Neger auf dem Hofe 
Barbula trinken viel von dieser vegetabilischen Milch und halten sie 
für ein gesundes Nahrungsmittel. Da alle milchichten Pflanzensäfte 
scharf, bitler und mehr oder weniger giftig sind, so schien uns diese 
Behauptung sehr sonderbar; aber Erfahrung lehrte uns, wãhrend 
unseres Aufenthaltes in Barbula, daß, was man uns von den Eigen— 
schaften des Palo de Vaca erzählt hatte, nicht übertrieben war. Der 
schöne Baum hat die Beschaffenheit des Sternapfelbaums; die läng⸗ 
lichen, zugespitzten, lederartigen, abwechselnden Blätter haben unten 
vorspringende, parallele Seitenrippen und werden zehn Zoll lang. 
Die Blüte bekamen wir nicht zu sehen; die Frucht hat wenig Fleisch 
und enthält eine, bisweilen zwei Nüsse. Macht man Einschnilte in 
den Stamm des Kuhbaums, so fließt sehr reichlich eine klebrige 
ziemlich dicke Milch aus, die durchaus nichts Scharfes hat und sehr 
angenehm wie Balsam riecht. Man reichte uns welche in Früchten 
des Flaschenbaumes. Wir lrankan abends vor Schlafengehen und früh 
morgens viel davon, ohne irgend eine nachteilige Wirkung. Nur die 
Klebrigkeit macht diese Milch etwas unangenehm. Die Neger und die 
Freien, die auf den Pflanzungen arbeiten, tunken sie mit Mais und 
Manioc⸗Brod, Arepa und Cassove aus. Der Verwalter des Hofs 
versicherte uns, die Neger legen in der Zeit, wo der Palo de Vaca 
ihnen am meisten Milch giebt, sichtbar zu. Bei freiem Zutritt der Luft 
zieht der Saft an der Oberfläche, vielleicht durch Einsaugung des Sauer⸗ 
soffs der Luft, Häute einer sart animalisierten, gelblichen, faserigen, 
dem Käsestoff ähnlichen Substanz. Nimmt man diese Häute von der 
übrigen wässerigen Flüssigkeit ab, so zeigen sie sich elastisch wie Kaut— 
schuk, in der dolge aber faulen sie unter denselben Erscheinungen, 
wie die Gallerie. Das Volt nennt den Klumpen, der sich an der 
Luft absetzt, Käse; derselbe wird nach fünf bis sechs Tagen sauer, 
wie ich an den kleinen Slucken bemerkte, die ich nach Nueva Valencia 
mitgebracht. In einer verschlossenen Flasche setzte sich in der Milch 
was Gerinsel zu Boden, und sie wurde keineswegs übelriechend, 
sondern behielt ihren Balsamgeruch. Mit kallem Wasser vermischt 
gerann der frische Saft nur sehr wenig; aber die klebrigen Häute 
—— 
) sprich Araägwa. ) gehört zur Familie der Brotfruchtbäume.
	        
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