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rühmlich beendigten Unternehmens die Ungunst des Volkes in noch stär¬
kerem Maße gegen ihn als zuvor, und das Verdienst seiner neuen Tha¬
ten konnte seinen Sturz nicht lange mehr aufhalten. Die Soldaten
hatten auf die Plünderung von Falerii gehofft. Die friedliche Ausglei¬
chung der Fehde ließ sie mit leeren Händen heimkehren. Man sehe aufs
neue, hieß es, daß Camillus ein Feind des Volkes sei und dem armen
Bürger die Beute mißgönne.
Von Jahr zu Jahr hatte das Volk den Antrag durchzusetzen
gehofft: man solle der Uebervölkerung der Stadt dadurch abhelfen, daß
ein Theil der Bürgerschaft und des Senats nach Veji übersiedle. Senat
und Adel stellten diesem Plane den hartnäckigsten Widerstand entgegen,
zu welchem Camillus in seiner freimüthigen, furchtlos entschiedenen Art
sie noch öffentlich anfeuerte. Was ihn persönlich betreffe, sagte er, wenn
er seinen eignen Ruhm im Auge habe, so sei es für ihn ja nur ehren¬
voll, daß eine von ihm eroberte Stadt wiederum bevölkert und das
Denkmal seines Sieges der Nachwelt erhalten werde. Aber er achte
es für einen Frevel, daß Römer sich in eine von den Göttern verlassene
und preisgegebene Stadt niederließen und die siegreiche Vaterstadt mit
der besiegten vertauschten. Rom dürfe nicht den römischen Staat zerrei¬
ßen und neben das erste und einzige Rom ein zweites schaffen.
Durch das Gewicht seines Ansehens gelang es noch einmal, das
Volk dahin zu bewegen, daß es jenes Gesetz mit Einer Stimmenmehr¬
heit fallen ließ. Aber der Widerwille, mit dem es die Verzichtleistung
sich hatte abnöthigen lassen, nährte die Erbitterung gegen Camillus von
Tag zu Tage. Sie machte sich endlich Luft in der Anklage, welche der
Volkstribun Lucius Apulejus gegen ihn erhob: daß er einen Theil
der vejentischen Beute unterschlagen und sein Haus damit ausge¬
schmückt habe.
Camillus, eben damals durch den Tod eines seiner Söhne tief
gebeugt, beschied seine zahlreichen Freunde und Anhänger in sein Haus
und stellte an sie die Bitte, sie möchten nicht geschehen lassen, daß er
auf eine so ungerechte Weise und wegen so boshafter Beschuldigungen
verdammt und seinen Feinden zum Spott würde. Nachdem sie sich unter¬
einander berathen hatten, gaben sie die Erklärung an ihn ab: sie wür¬
den mit Freuden die Summe zusammenbringen, zu welcher man ihn
verurtheilen würde; ihn vor der Verurteilung selber zu bewahren, sei,
wie die Sachen dermalen stünden, unmöglich.
Diese Erklärung der Freunde kränkte sein Ehrgefühl so tief, daß
er sich entschloß, weder seine Vertheidigung zu versuchen, noch das Urtheil
abzuwarten, sondern freiwillig aus der Stadt zu entweichen und in die
Verbannung zu gehen. Er nahm von seiner Familie Abschied und ging,
ohne ein Wort zu reden, bis vor das Thor. Dort aber wandte er sich
um und flehete, die Hände gegen das Capitol ausstreckend, die Götter
an: „Wenn ich unschuldig bin, wenn mir Unrecht geschieht, so führet
meine Sache! Lasset meine undankbaren Mitbürger bald Reue ankom¬
men und Sehnsucht nach mir, und nöthigt sie vor allen Menschen ein¬
zugestehen, daß sie einen Camillus nicht enbehren können."
Bald nach seinem Weggange wurde er zu einer Geldstrafe von
15.000 As, einer Summe, welche in jenen Zeiten ansehnlich'genug war,
verurtheilt.