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sie bhat ihn um Schonung und sroßmut. Es war das fchwerste, was ihr
damit zugemutet war, und es war völlig unnũtz. Napoleon fand in ihr
„die schönste Königin und die interessanteste aller frauen“, aber er blieb
ihr gegenüber unbewegt. — In ihren Klagen aus Nemel in dem Herbst,
welcher dem oerhäãngnisvollen frieden folgte, findet sich kein Wort über
ihre persönlichen Entbehrungen und Ceiden. Und doch hatte sic buchstãblich
Enthehrungen zu ertragen. Die königliche kFamilie aß damals schlechter
als manche bürgerliche und sie aß das WVenige auf irdenen Tellern. Das
goldene Tafelgeschirr war gemünzt und fürs CLand gezahlt worden. König
und königin waren arme ceute. Der dater konnte seiner ältesten Tochter,
der späteren Kaiserin von Rußland, als Geburtstagsgeschenk zu einem
neuen Kleide nur fünf rTaler schicken — er hatte nicht mehr. Den Sommer
i808 brachte die königliche familie auf einer kleinen Besitzung im Dorfe
huben zu Im 3. Dezember dieses Jahres wurde Berlin endlich von den
Franzosen geräumt und der König kündigte seine Rũckkehr an. Der neue
Krieg zwischen krankreich und österreich machte jedoch die eimkehr nach
der allzu ausgesetzten hauptstadt bhedenklich und sie unterblieb.
Trüber, schwerer noch als der vorige Sommer, verging der SFommer
1809 abermals in dem kleinen hause auf dem kleinen Dorfe. Endlich, im
Dezember 1309, gerade an dem Tage, wo sie als Braut vor 16 jahren
in Berlin eingezogen war, durste Königin Cuise nach dreijähriger Abwesenheit
nach Berlin heimkommen. Denn als heimkunst empfand sie diese WMiederkehr.
Fie saß in einem reichen Wagen, welchen die Ftadt ihr geschenkt; er war
mit Cila, ihrer Cieblingsfarbe, ausgeschlagen und geschmackvoll mit Silber
berziert. Der König ritt voran, von schmerzlicher Ffreude bewegt. Feine
beiden ãltesten Söhne folgten ihm zu pferde. Dann kam die Königin, noch
immer die Schöne aber jetzt auch die seprüste. Der Tag war klar und
mild, die Stadt festlich geschmückt. dor dem palais erwartete der herzog
don Mecklenburg⸗Strelitz die so lang entbehrte Tochter und sie konnte
endlich wieder am daterherzen weinen.
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Nachdem so ihr heimweh nach Berlin und namentlich nach „hrem
Charlottenburg gestillt worden war, erwachte auch wieder lebhaft in sihr
der alte Wunsch, einmal ihren dater in seiner hauptstadt zu besuchen.
Fie hatte seit ihrer Derheiratung ihrem fusdruck nach nur ein einziges
Mal unter dem vdãterlichen Dache geschlafen und zwar in hohen⸗Zieritz,
dem Custschlosse des herzogs. Nuch sehnte sie sich ihre einundachtzigsãhrige
sroßmutter nochmals zu sehen.
Im 25. Juni reiste sie ab und am 283. Juni folgte der König ihr nach.
segen Abend fuhr man von Ftrelitz; nach dem Custschloß hohen⸗Zieritz,
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Lesebuch für Mädchenfortbildungsschulen.