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100. Die treue Schwester.
1. Vater und Mutter lagen im
Grab,
Und der Bruder wollt' übers weite
Meer.
Wiebke hing an seinem Hals,
Verzagt und weinte sehr.
2. Meine Lampe will ich ans
Fenster stell'n,
Kein Stern hat Hellern Schein,
Herzbruder, und wenn du wieder¬
kehrst,
Dein Schiff läuft sicher ein.
3. Ans Fenster stellte die Lampe sie
Und wartete an sieben Jahr,
Alle Schiffer kannten ihr Licht,
Das brannte hell und klar.
101. H
1. Wie war's im Walde
Heut wunderhold —
Die Wipfel alle
Von rotem Gold!
4. Sieben Jahre und sieben noch.
Lösch doch deine Lampe aus!
Sie schüttelte ihren weißen Kopf:
Er kommt doch einmal nach Haus.
6. Und eines Nachts, und die See
ging schwer,
Und sie sahen, am Fenster brannte
kein Licht;
Da sprachen sie, er ist heimgekehrt,
Ihr Glaube trog sie nicht.
6. Und morgens, sie wollten den
Bruder sehn,
Im Hafen war kein Schiff, kein Boot,
Und sie gingen und fanden die Lampe
leer,
Und Wiebke saß und war tot.
Gustav Falke.
bstgold.
2. Golden der Boden,
Golden der Duft,
Fallende Blätter
Von Gold aus der Luft.
3. Und es leuchtet
Golden die Hoffnung
Aus Tod und Vergehn
Aufs Auferstehn. Ferd. Avenarius.
102. Erwartung
1. Noch eine Nacht — und aus den
Lüften
Herniederströmt das goldne Licht
Der wundersamen Weihnachtsfreude,
Verklärend jedes Angesicht.
Und wieder klingt die alte Sage!
Wie einst die Lieb geboren ward,
Die unbegrenzte Menschenliebe,
In einem Kindlein hold und zart.
der Weihnacht.
2. Nun zieht ein süß erschauernd
Ahnen
Durch Höhn und Tiefen,Flur undFeld.
Nun deckt geheimnisvoll ein Schleier
Des trauten Heirnes kleine Welt.
Dahinter strahlt's und lacht's und
flimmert's
Und ist der süßen Rätsel voll,
Durch alle Räume weht ein Odem
Der Freude, die da kommen soll.