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wurden mit Namensaufruf dem Volke vorgestellt; wer einen derselben seiner
Sitten oder seiner Herkunft wegen für unwürdig hielt, um den Kranz des Zeus
zu kämpfen, der konnte sich zur Anklage erheben, die von den Richtern sofort
erledigt wurde. Dann traten die Kämpfer an die silberne, dem Zeus heilige
Losurne heran; einer nach dem anderen nahm, nachdem er ein kurzes Gebet
gesprochen hatte, eines der Lose hervor, welche nach gleichen Buchstaben die
Paare oder Gruppen bestimmten. So viele der Gruppen da waren — denn es
liefen immer vier miteinander — so oft wurde der Kampf erneuert, und da
einer Sieger bleiben mußte, so traten, die in den verschiedenen Gruppen gesiegt
hatten, zuletzt zum entscheidenden Preiskampfe zusammen.
Nach Art des Wettlaufs wurden auch die anderen Wettkämpfe des Stadions
eingeleitet und ausgeführt: der Sprung, in welchem Schwungkraft der Glieder
und Entschlossenheit sich bewährte, der Ringkampf, durch welchen Männer wie
Milo, der reiche Schüler des Pythagoras, ihren Ruhm durch alle Länder ver¬
breiteten, ferner der rohere Faustkampf, der Wurf des Diskos und Speers.
In allen den genannten Gattungen der gymnastischen Übungen bewährte sich des
Mannes eigene Kraft und Gewandtheit. Ihnen gegenüber standen die ritter¬
lichen Spiele, wo man der Rosse Tüchtigkeit den Sieg verdankte. Wenn dieser
Kampf dennoch alle anderen überstrahlte, so war es nicht sowohl die Kunst des
Wagenlenkers als vielmehr der Glanz des Reichtums, die Pracht des Aufzugs,
welche zugunsten dieser Kampfart entschieden. Nur die Reichsten traten hier in
die Schranken; die Könige von Syrakus und Kyrene sandten ihre Wagenlenker;
hochfahrenden Jünglingen, wie dem Alkibiades, erschien nur der Sieg im
Hippodrom als ein begehrungswürdiges Ziel. Zu diesem herrlichsten der Schau¬
spiele füllten sich am vierten Festtage die langen Stufenreihen zu den Seiten
der Rennbahn. Die Wagenstände wurden verlost; vor jedem Wagenstande war
ein Seil gezogen, hinter welchem die Renner ungeduldig den Boden stampften.
In der Nähe saß auf einem Altar ein eherner Adler, welcher, in die Luft
steigend, den ersehnten Anfang des Spieles verkündete. Es kam auf der breiten
Bahn, welche ein Viergespann zwölfmal durchmessen mußte, alles darauf an,
einerseits die kürzesten Fahrten zu machen und möglichst nahe an der Zielsäule
mit dem linkslaufenden Pferde herumzulenken, andererseits aber dem auf dieser
Linie sich zusammenschiebenden Wagengedränge vorsichtig auszuweichen. In
einem Rennspiele scheiterten 40 Wagen an dieser Klippe und ließen dem allein
übrigbleibenden einen leichten Sieg. Die Zuschauer verfolgten mit Angst und
Jubel die rasch sich vollendenden Ereignisse des ergreifenden Schauspiels, bis sie
mit lautem Beifallsstürme den Glücklichen begrüßen konnten, den des Herolds
Stimme ausrief. Der Sieger wurde von seinen Angehörigen und Landsleuten
umringt, von den anwesenden Hellenen begleitet; der festliche Zug bewegte sich
vom Hippodrom und Stadion nach dem Tempel des Zeus, denn hier zu den