314
Nicht ertragen. „Fliehe nicht, o Jüngling,
Nicht, o Sohn, den waffenlosen Vater,
Einen Greis. Ich habe dich gelobet
Meinem Herrn und muß für dich antworten.
Gerne geb' ich, willst du es, mein Leben
Für dich hin; nur dich fortan verlassen
Kann ich nicht! Ich habe dir vertrauet,
Dieb mit meiner Seele Gott verpfändet."
Weinend schlang der Jüngling seine Arme
Um den Greis, bedeckete sein Antlitz
Stumm und starr; dann stürzte, statt der Antwort,
Aus den Augen ihm ein Strom von Thränen.
Auf die Kniee sank Johannes nieder,
Küßte seine Hand und seine Wange,
Nahm ihn neu geschenket vom Gebirge,
Läuterte sein Herz mit süßer Flamme.
Jahre lebten sie jetzt unzertrennet
Mit einander; in den schönen Jüngling
Goß sich ganz Johannes schöne Seele.
Sagt, was war es, was das Herz des Jünglings
Also tief erkannt und innig festhielt?
Und es wiederfand und unbezwingbar
Rettete? Ein Sauet-Johannes-Glaube,
Zutraun, Festigkeit und Lieb' und Wahrheit.
Herder.
6. Der Sänger.
„Was hör' ich draußen vor dem Thor,
Was auf der Brücke schallen?
Laß den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale wieder hallen!"
Der König sprach's, der Knabe lief;
Der Knabe kam, der König rief:
„Laßt mir herein den Allen!"
„Gegrüßct seid mir, edle Herrn!
Gegrüßt ihr, schöne Damen.
Welch reicher Himmel! Stern bei Stern!
Wer kennet ihre Namen?
Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,
Sich staunend zu ergötzen."
Der Sänger drückt die Augen ein
Und schlug in vollen Tönen;
Die Ritter schauten muthig drein,
Und in den Schooß die Schönen.
Der König, dem es wohl gefiel,
Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,
Eine gold'ne Kette holen.
„Die gold'ne Kette gieb mir nicht,
Die Kette gieb den Rittern,
Vor deren kühnem Angesicht
Der Feinde Lanzen splittern;
Gieb sie dem Kanzler, den die hast,
Und laß ihn noch die gold'ne Last
Zu andern Lasten tragen.
Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet;
Das Lied, das aus der Kehle dringt.
Ist Lohn, der reichlich lohnet.
Doch darf ich bitten, bitt' ich eins:
Laß mir den besten Becher Weins
In purem Golde reichen."
Er setzt' ihn an, er trank ihn aus:
„O Trank voll süßer Labe!
O wohl dem hochbeglückten Haus,
Wo das ist kleine Gabe!
Ergeht's Euch wohl, so denkt an mich,
Und danket Gott so warm, als ich
Für diesen Trunk Euch danke."
Goethe.
7. Der Fischer.
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Und wie er sitzt, und wie er lauscht,
Ein Fischer saß daran, Theilt sich die Fluth emvor,
Sah nach dem Angel ruhevoll, Aus dem bewegten Wasser rauscht
Kühl bis an's Herz hinan. Ein feuchtes Weib hervor.