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Weiter, weiter mußt du dringen,
Du mein deutscher Freiheitsgruß,
Sollst vor meiner Hütte klingen
An dem fernen Memelfluß.
Wo noch deutsche Worte gelten,
Wo die Herzen stark und weich
Zu dem Freiheitskampf sich stellten,
Ist auch heil'ges deutsches Reich.
Alles ist in Grün gekleidet,
Alles strahlt im jungen Licht,
Anger, wo die Heerde weidet,
Hügel, wo man Trauben bricht.
Vaterland! in tausend Jahren
Kam dir solch' ein Frühling kaum!
Was die hohen Väter waren,
Heißet nimmermehr ein Traum.
Aber einmal müßt ihr ringen
Noch in ernster Geisterschlacht,
Und den letzten Feind bezwingen,
Der im Innern drohend wacht.
Haß und Argwohn müßt ihr dämpfen,
Geiz und Neid und böse Lust,
Dann nach schweren, langen Kämpfen
Kannst du ruhen, deutsche Brust.
54. Preis
Jüngsthin hört' ich, wie die Rebe
Mit der Tanne sprach und schalt:
Stolze! himmelwärts dich hebe,
Dennoch bleibst du starr und kalt!
Spend' auch ich nur kargen Schatten
Wcgemüden, gleich wie du,
Führet doch mein Saft die Matten,
O wie leicht! der Heimath zu.
Und im Herbste, welche Wonne
Bring' ich in des Menschen Haus!
Schaff' ihm eine neue Sonne/
Wann die alte löschet aus.
Jeder ist dann reich an Ehren,
Reich an Demuth und an Macht;
So nur kann sich recht erklären
Unsers Kaisers heil'ge Pracht.
Alte Sünden müssen sterben
In der gottgesandten Fluth,
Und an einen sel'gen Erben
Fallen das entsühnte Gut.
Segen Gottes auf den Feldern,
In des Weinstocks heil'ger Frucht,
Manneslust in grünen Wäldern,
In den Hütten frohe Zucht;
In der Brust ein frommes Sehnen
Ew'ger Freiheit Unterpfand;
Liebe spricht in zarten Tönen
Nirgends, wie im deutschen Land.
Ihr in Schlössern, ihr in Städten,
Welche schmücken unser Land,
Ackersmann, der auf den Beeten
Deutsche Frucht in Garben band,
Traute deutsche Brüder, höret
Meine Worte alt und neu:
Nimmer wird das Reich zerstöret,
Wenn ihr einig seid und treu.
Max v. Schenkendorf.
der Tanne.
So sich brüstend sprach die Rebe;
Doch die Tanne blieb nicht stumm;
Säuselnd sprach sie: Gerne gebe
Ich dir, Rebe, Preis und Ruhm.
Eines doch ist mir beschieden:
Mehr zu laben, als dein Wein,
Lebensmüde: — welchen Frieden
Schließen meine Bretter ein!
Ob die Rebe sich gefangen
Gab der Tanne, weiß ich nicht;
Doch sie schwieg, und Thränen hangen
Sah ich ihr im Auge licht.
I. Kerner.
55. Der reichste Fürst.
Preisend mit viel schönen Reden
Ihrer Länder Werth und Zahl,
Saßen viele deutsche Fürsten
Einst zu Worms im Kaisersaal.
„Herrlich," sprach der Fürst von
Sachsen,
„Ist mein Land und seine Macht,
Silber hegen seine Berge
Wohl in manchem tiefen Schacht."
„Seht mein Land in üpp'ger Fülle,"
Sprach der Churfürst von dem Rhein,
„Gold'ne Saaten in den Thälern,
Auf den Bergen edlen Wein!"
„Große Städte, reiche Klöster,"
Ludwig, Herr zu Bayern, sprach,
„Schaffen, daß mein Land den euren
Wohl nicht steht an Schätzen nach."
Eberhard, der mit dem Barte,
Württembergs geliebter Herr,
Sprach: „Mein Land hat kleine Städte,
Trägt nicht Berge silberschwer;
Doch ein Kleinod hält's verbor¬
gen: -
Daß in Wäldern, noch so groß,
Ich mein Haupt kann kühnlich legen
Jedem Unterthan in Schooß."