Jacobs: Gastfreundschaft. Prutz: Räuber und Crucifix.
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Bleib also, so lange du kannst; und je länger du verweilst, desto mehr
werd ich es dir Dank wissen."
So freundlichen Worten zu widerstehn vermocht ich nicht. Ich blieb
eine ganze Woche hier, durchzog am Tage die Gegend umher und ward
jeden'Abend bei der Rückkehr mit gleicher'Herzlichkeit aufgenommen. Nach
Verlauf dieser Zeit, als ich ernstlich Abschied nahm, drückte mir der Alte
die Hand und sagte: „Es wäre mir ganz recht, wenn ihr es euch länger
bei mir gefallen lassen wolltet; denn ihr seht, daß ihr uns nicht lästig
seid. Aber so ist unsere Weise; wir nehmen den Gast mit Liebe auf,
und wenn er scheiden will, halten wir ihn nicht wider Willen zurück." —
Das war nun wieder recht nach Homerischer Weise, wo Menelaus zu
dem scheidenden Telemachus sagt: „Ich werde dich nicht länger halten,
da dich nach der Rückkehr verlangt; denn gleich unrecht ist es, den Fremden
wegzutreiben und ihn aufzuhalten, wenn er gehen will." Damit nun
aber auch das Ende homerisch wäre, tauschten wir Gastgeschenke aus; er
verehrte mir das Abbild seines Hauses und der Gegend, die ein deutscher
Maler bei ihm aufgenommen und in Chur hatte in Kupfer stechen lassen,
und ich ihm dagegen ein Gebetbuch in romanischer Sprache von meinem
Freund Eonradi in Anderen verfaßt, das ich in Como gekauft und an
welchem mein frommer Wirt Wohlgefallen gezeigr hatte.
187. Räuber und Crucifix.
Robert Eduard Prutz, geb. den 30. Mai 1816 zu Stettin; lebte als Schriftsteller
in seiner Vaterstadt; gest. daselbst den 2 Mai 1812.
Auf dem öden Scheidewege, hinterm hohen Crucifixe,
Mit dem Säbel in «dem Gürte, in der Hand die gute Büchse,
Steht der Räuber stumm und lauernd, und des Auges dunkeln Strahl
Läßt er rasch wie einen Falken abwärts fliegen in das Thal.
Denn den Kaufmann will er fangen, der aus weit entlegnen Ländern
Heut zurückkehrt zu den Seinen, 'reich an Gold und Prachtgewändern;
Und was mühsam er erworben auf der Wandrung nah und fern —
An dem Räuber, dem gewalt'gen. find't er plötzlich seinen Herrn. —
Ahend wird's, die Sterne flimmern; mit dem Säbel und der Büchse,
Stumm und lauernd steht der Räuber hinterm hohen Crucifixe.
Horch, da tönt's wie Engelstimmen! Leise Seufzer, laute Klagen
Kommen hell wie Abendglocken durch die stille Nacht getragen;
Süß, mit ungewohnten Tönen, stiehlt Gebet sich in sein Ohr,
Und er steht und lauscht verwundert hinterm Crucifix hervor.
Alle sind's. des Kaufmanns Kinder, in der Jugend Blütejahren,
Braunen Auges frische Knaben, Mägdelein mit blonden Haaren;
Dicht beim Räuber vor dem Kreuze beugen betend sie das Knie,
Für die Rückkehr des Geliebten, ihres Vaters, flehen sie:
„O du Schirmvogt der Verlaßnen, Hort und Pflege du der Waisen,
Laß den Vater, unsern theuern, ungefährdet heimwärts reisen!
Den du freundlich schon geführt hast durch die Wüste und das Meer,
Breit auch nun die holden Arme wie zween Flüglein um ihn her,
Daß kein Sturm den Pfad zerwühle, daß kein Irrlicht ihn umschwirre,
Daß sein gutes Pferd nicht strauchle, nicht sein
Teutsche- Lesebuch f. h. Lechraust. III. Thl. ((¿uarta.) i<j^8lQ
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