Full text: [Teil 3, [Schülerband]] (Teil 3, [Schülerband])

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zweitausend Rubel dasHaus verkauft. „Ich will sonst eine Unterkunft finden," 
sagte er, „wenn nur ihr ohne Leid und Mangel nach Deutschland kommt." 
O du heiliges, lebendig gewordenes Sprüchlein des Evangeliums und seiner 
Liebe: „Verkaufe, was du hast, und gib es denen, die es bedürftig sind, so 
wirst du einen Schatz im Himmel haben." Der wird einst weit oben rechts 
zu erfragen sein, wenn die Stimme gesprochen hat: „Kommt, ihr Geseglleten! 
Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin nackt gewesen, 
und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr 
habt euch meiner angenommen." — Doch der Kauf wurde zu großem Troste 
für die edlen Gefangenen wieder rückgängig gemacht. Nichtsdestoweniger 
brachte er auf andre Art noch einige hundert Rubel für sie zusammen und 
nötigte sie, was er hatte von kostbarem russischen Pelzwcrk, mitzunehmen, um 
es unterwegs zu verkaufen, wenn sie Geldes bedürftig wären oder einem ein 
Unglück widerführe. 
• Den Abschied will ich weiter nicht beschreiben; keiner, der dabei war, 
vermag es. Sie schieden unter tausend Segenswünschen unb Thränen des 
Dankes und der Liebe, und der Schneider gestand, daß dieses für ihn der 
schmerzlichste Tag seines Leben sei. Die Reisenden aber sprachen unterwegs 
unaufhörlich noch immer von ihrem Vater in Pensa, und als sie in Bialystock 
in Polen wohlbehalten ankamen und Geld antrafen, schickten sie ihm dankbar 
das vorgeschossene Reisegeld zurück. 
33. Der arme Musikant und sein Kollege. 
An einem schönen Sommertage war im Prater zu Wien ein ^großes 
Volksfest. Viel Volk strömte hinaus, und jung und alt, vornehm und gering 
freute sich dort seines Lebens; auch viele Fremde kamen und erfreuten sich an 
der Volkslnst. Wo fröhliche Menschen sind, da hat auch der etwas zu hoffen, 
der an die Barmherzigkeit seiner glücklicheren Mitmenschen gewiesen ist. So 
waren denn hier eine Menge Bettler, Orgelmünner, Blumemnüdchcn 
u. dgl., die sich ihren Kreuzer zuverdienen suchten. 
In Wien lebte damals ein Invalide, dem seine kleine Pension zum 
Unterhalt nicht ausreichte. Betteln mochte er nicht. Er griff daher zur 
Violine, die er von seinem Vater, einem Böhmen, erlernt hatte. Er spielte 
unter einem alten Baum im Prater, und seinen treuen Pudel hatte er so 
abgerichtet, daß das Tier vor ihm saß und seines Herren alten Hut im Maule 
hielt, damit die Leute die paar Kreuzer, die sie ihm geben wollten, hinein¬ 
würfen. Heute stand er auch da und fiedelte; aber die Leute gingen vorüber, 
und der Hnt blieb leer. Hätten sie den Musikanten nur einmal angesehen, 
sie hätten Barmherzigkeit mit ihm haben müssen. Dünnes, weißes Haar 
deckte kaum seinen Schädel; ein alter, fadenscheiniger Soldatenmantcl war
	        
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