Full text: [Teil 3 = (Für Quarta), [Schülerband]] (Teil 3 = (Für Quarta), [Schülerband])

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„Steig herab, Knabe!" schrie der Offizier; „sie haben dich gesehen. Ich 
weiß genug. Komm herab!" 
„Ich fürchte mich nicht," antwortete der Knabe. 
„Steig herab!" wiederholte der Offizier, „was siehst du noch zur Linken?" 
„Zur Linken?" 
„Ja, zur Linken." 
Der Knabe drehte den Kopf nach links: in diesem Augenblick durchschnitt 
ein anderes Pfeifen, schärfer und tiefer als das erste, die Luft. — Der Knabe 
fuhr zusammen. 
„Donnerwetter!" rief er aus, „sie haben es wirklich auf mich abgesehen. 
Die Kugel war nahe an mir vorbeigegangen." 
„Herunter!" schrie der Offizier gebieterisch und erregt. 
„Ich komme gleich," antwortete der Knabe; „aber der Baum schützt mich, 
zweifeln Sie nicht. Zur Linken, ivollen Sie wissen?" 
„Zur Linken," antwortete der Offizier; „aber steig, herab." 
„Zur Linken," rief der Knabe, indem er den Körper nach jener Seite 
drehte, „da, wo die Kapelle ist, sehe ich . . ." 
Ein drittes, wütendes Pfeifen durchschnitt die Luft und fast im gleicher 
Augenblick sah man den Knaben herunterkommen, sich erst am Stamm und 
an den Zweigen haltend und dann, den Kops voran, mit ausgestreckten Armen 
zu Boden stürzen. 
„Verwünscht!" schrie der Offizier herbeieilend. 
Der Knabe schlug mit dem Rücken auf die Erde und blieb mit ausge¬ 
breiteten Armen liegen. Ein Bächlein Blutes entquoll der linken Seite der Brust. 
Der Wachtmeister und zwei Soldaten sprangen vom Pferde; der Offizier beugte 
sich ilber den Knaben und öffnete ihm das Hemd; die Kugel war ihm in den 
linken Lungenflügel gedrungen. 
„Er ist tot!" rief der Offizier. — „Nein, er lebt!" antwortete der Wacht¬ 
meister. 
„Ach! armer Knabe! braver Knabe!" rief der Offizier; „Mut! Mut!" 
Aber während er ihm Mut zurief und ihm das Taschentuch aus die Wunde 
drückte, verdrehte der Knabe die Augen und ließ den Kopf sinken: er war tot. 
Der Offizier erbleichte und sah ihn einen Augenblick unverwandt an; dann 
legte er ihn bequem mit dem Kopfe auf das Gras; — er erhob sich und be¬ 
trachtete ihn; auch der Wachtmeister und die beiden Soldaten schauten ihn 
regungslos an: — die andern waren dem Feinde zugekehrt. 
„Armer Knabe!" wiederholte traurig der Offizier, „armer, braver 
Knabe!" 
Dann näherte er sich dem Hause, hob die dreifarbige Fahne vom Fenster 
und breitete sie wie ein Leichentuch iiber den kleinen Toten aus, ihm das 
Gesicht unbedeckt lassend. 
Der Wachtmeister legte die Schuhe, die Mütze, den Stock und das Messer 
dem Toten zur Seite.
	        
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