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Vorn an dem Pfeiler steht, sinnend und träumend, der Werk¬
meister des Münsters, den Plan des letzteren vor sich hinhaltend
und hinaus starrend in die weite blaue Ferne.
Ihm zur Seite, etwas rückwärts am Pfeiler, steht sein Sohn,
gestützt auf den Meisterstab in seiner Linken, und hinaufschauend zu
der Turmspitze, indem er, mit der Rechten, sich das Auge schützt
gegen der Sonne blendende Stralen.
Wie beseligt schaut der Vater vor sich hin, als suche und sähe
er schon in der Ferne den majestätischen Bau, den sein Genius
erschaffen: die zwei riesenhaften Türme emporragen, hoch in die
Lüfte.
Stolz auf des berühmten Vaters Ruhm schaut der Sohn unver¬
wandten Blickes hinauf zur Turmspitze, mißt und bewundert, und mißt
und bewundert immer auf's neue wieder, des gigantischen Turmes
schwindlige Höhe; sieht, wie jetzt die nadelfeine Spitze scharf und keck die
Luft durchschneidet und frank und frei sich abhebt von des Himmels
tiefem Blau; wie sie dann wieder ihre reiche Krone in den dunkeln
Wolken birgt; und dann wieder die Pyramide empor stralt im
Mondesscheine, durch die Nacht, gleich als belausche sie der goldnen
Sterne Glänzen und Flimmern. Und auch er denkt sich schon,
im Geiste, den zweiten Riesenturm, der sich, neben dem einzig
ausgeführten, kühn und kräftig wie dieser erheben sollte gen Himmel.
Und immer wieder, ohne Unterlaßen, mißt er des Turmes endlose
Höhe und bewundert seines Vaters Genius und Kunst.
Einzig aber, wie verlaßen, steht der allein ausgeführte Turm
da und starrt, wie wehmüthig, empor in die Lüfte.
Und vergeblich starrt auch der jüngere Meister unabläßig
hinauf zur Spitze am zackigen Helm empor. Geschlecht um Ge¬
schlecht geht zu Grabe, Jahrhundert verfließt um Jahrhundert
und immer verwandeln sich des Vaters Träume nicht in Wirk¬
lichkeit: leer bleibt immerdar die Stelle, wo der zweite Riesenturm
stolz neben dem allein ausgebauten die Luft durchschneiden sollte.
Und Viele- sind schon vorübergegangen, und Viele werden noch
vorübergehen droben an dem Turme, und die beiden Meister-
schauen, wie schon so Viele vor ihnen sie erblickt, hinausstarrend
der Eine träumend in die Ferne, und hinauf der Andere unabläßig
bewundernd zur Spitze.
Stöber.
78. Das Alphorn.
Zu den musikalischen Instrumenten wird das Alphorn nicht
gezählt, und doch wie große Wirkungen und eigentümliche Stimmungen