Full text: [Obertertia, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband])

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diese Frage entscheiden könnte, die unmittelbare Beobachtung, daß an irgend¬ 
einem Hafen der Wasserstand dauernd gestiegen wäre, hat bisher versagt. 
Doch sind die Beobachtungsreihen noch so kurz, daß die Möglichkeit, auch 
heute noch mit einem Sinken der Küste rechnen zu müssen, keineswegs von 
5 der Hand zu weisen ist. 
Mögen wir aber auch zweifelhaft sein, ob die Küste der Ostsee sinkt, daß 
sie gesunken ist, steht außer Frage. Es ließen sich dafür eine ganze Reihe von 
Beweisen anführen. Da bei diesen jedoch stets eine lange Erörterung dar¬ 
über nötig wäre, inwieweit der Beweis wirklich zwingend ist, so will ich mich 
10 aus einige wenige Punkte beschränken. 
Am Südrande des Stettiner Haffes, das übrigens seiner Entstehung nach 
nicht mit den oben erklärten Haffen gleich zu setzen ist, ragen aus der glatten 
und ziemlich flachen Uferlinie bei Ückermünde zwei Halbinseln in das Wasser 
hinein, die zwischen sich eine Bucht, den sogenannten Neuwarper See, ein- 
15 schließen. Diese Halbinseln tragen hohe Dünen, die heute bewachsen sind, 
und aus bereit ganzer Form wir schließen können, daß sie nicht an einem 
Meeresstrande entstanden sind, sondern inmitten einer wüsten Sandfläche 
unter der Einwirkung östlicher Winde, und daß sie bei dieser Entstehung von 
Osten her herangewandert sein müssen. Das setzt voraus, daß damals der 
20 südliche Teil des Stettiner Haffes trocken lag und daß erst nachträglich das 
Meer ihn überflutet hat. Die Zeit der Bildung dieser Dünen können wir mit 
Sicherheit bestimmen: sie erfolgte unmittelbar nach dem Zurückweichen des 
Eises, das in der sogenannten Eiszeit unser Vaterland bedeckte. Aber auch 
noch aus späteren Zeiten haben wir Anzeichen, daß der Meeresspiegel damals 
25 tiefer gelegen habe. Es seien hier die mancherlei Funde vorgeschichtlicher 
Werkzeuge erwähnt, die man vor der mecklenburgischen und vorpommerschen 
Küste vom Boden der Ostsee heraufgeholt hat, und die wir als Beleg dafür 
nehmen können, daß noch der Mensch der jüngeren Steinzeit Flächen be¬ 
wohnte, die heute unter dem Meeresspiegel liegen. Das Hinabsinken mensch- 
30 licher Wohnstätten unter das Meer führt unsere Gedanken zu jener sagen¬ 
umwobenen Stelle, von der erzählt wird, daß dort einst die Stadt Vineta 
ins Meer versunken sei. In dem Namen Vineta verwirren sich geschichtliche 
Erinnerungen mit den Deutungen gewisser örtlicher Verhältnisse in der man¬ 
nigfaltigsten Weise. Bekannt ist, daß der Name ursprünglich Jumneta hieß 
35 — die alte Jomsburg Palnatokos — und das wieder mit Wollin gleichgesetzt 
wird. Aber das versunkene Vineta wird uns an der Küste von Usedom ge¬ 
zeigt. Vor dem Streckelsberg, der sich bekanntlich zwischen Zinnowitz und 
Älhlbeck erhebt, liegt etwa anderthalb Kilometer vom Lande entfernt und zwei 
Meter unter dem Meeresspiegel ein Steinriff, das den Namen Vinetabank 
40 trägt. Es ist eine sandige Fläche, die mit Granitfindlingen bestreut ist. 
Früher war sie sicher noch steinreicher, denn viele Blöcke sind von hier zum
	        
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