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41. Die drei Savoyarden.
„Wir kriegen nun Schelten und Streich'
bis aufs Blut." —
„„Nein, keineswegs, alles geht herrlich und
gut,
Nur schweiget und horchet wie Mäuslein.
Und der es euch anrät, und der es befiehlt,
Er ist es, der gern mit den Kinderlein spielt,
Der alte Getreue, der Eckart.
Vom Wundermann hat man euch immer
erzählt:
Nur hat die Bestätigung jedem gefehlt,
Die habt ihr nun köstlich in Händen.""
Sie kommen nachhause, sie setzen den Krug
Ein jedes den Eltern bescheiden genug
Und harren der Schläg' und der Schelten.
Doch siehe, man kostet: Ein herrliches Bier!
Man trinkt in der Runde schon dreimal
und vier,
Und noch nimmt der Krug nicht ein Ende.
41. Die drei
Wie wirbelt der Schnee! horch! wie sauset
der Wind!
Schon dämmert der Abend heran,
Und über die knarrende Bahn
Mit fliegenden Schritten, geschwind, ge¬
schwind,
Denn es wird kälter und trüber,
Ziehn noch drei Wand'rer vorüber.
Irei kleine Savoyarden sind es,
Vertrant mit jedem Ungemach
Des rauhen Frostes und des Windes
Von Kindheit, ohne Dach und Fach;
Allein in dieser Schule lernten
Sie früh schon die Zufriedenheit,
Die Millionären und Besternten
Nur selten ihre Würze leiht.
Wohin denn noch heute? Paris ist das
Ziel;
Dort hoffen sie reichen Gewinn,
Und fröhliche Lieder im Sinn,
Im zitternden Arm das Saitenspiel,
Das Murmeltier zum Begleiter,
So geht es sorglos weiter.
Jas Wunder, es dauert zum morgenden
Tag.
Doch fraget, wer immer zu fragen vermag:
„Wie ist's mit den Krügen ergangen?"
Die Mäuslein, sie lächeln im stillen er¬
götzt;
Sie stammeln und stottern und schwatzen
zuletzt,
Und gleich sind vertrocknet die Krüge.
Und wenn euch, ihr Kinder, mit treuem
Gesicht
Ein Vater, ein Lehrer, ein Aldermann
spricht,
So horchet und folget ihm pünktlich!
Und liegt auch das Zünglein iu peinlicher
Hut,
Verplaudern ist schädlich, Verschweigen ist
gut;
Dann füllt sich das Bier in den Krügen.
,I. w. v. Goethe.
Savoyarden.
Sie denken schon auf alle Arten
Ihr künftiges Gcwerb' sich aus,
Sie schicken schon von dem Ersparten
Den armen Eltern was nachhaus,
Die, einsam im Gebirge lebend,
Dem rauhen Mangel bloßgestellt,
Ach, zwischen Furcht und Hoffnung schwe¬
bend,
Die Kinder schicken in die Welt.
Scharf schneidet die Kälte, da sinkt die Nacht
Herab auf die waldige Flur,
Vom Wege verliert sich die Spur,
Es seufzet die Eiche, die Fichte kracht,
Von scharfer Schneelast gebeuget,
Die neu sich immer erzeuget.
Doch furchtlos schmiegen sich die Kleinen
In das zerrissene Gewand,
Ein jeder haucht mit bitterm Weinen
Sich oft in die erstarrte Hand;
Dem Mund entschlüpfen leise Klagen,
Die Augen sind vom Schlafe schwer,
Und ach! die wunden Füßchen tragen
Fast die Ermüdeten nicht mehr.