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Der „ Seestern" durchschneidet in schneller Fahrt die Bai, deren
Oberfläche bei dem über Land kommenden Winde nur wenig bewegt ist,
der Himmel ist klar und wolkenlos, und die Segel der Fregatte blähen
sich in bauchiger Rundung vor der seitwärts kommenden frischen Brise.
Die Inseln sind etwa noch zwei Meilen weit entfernt, in einer Stunde
wird man hinter ihnen das freie Wasser gewonnen und für die bevor¬
stehende Nacht keine Landgefahr mehr zu fürchten haben.
Da wandelt sich allmählich das Blau des Himmels in ein rötliches
Gelb, der Horizont verschwimmt; ein Nebel scheint sich herniederzusenken,
er verbirgt die Inselgruppe den Augen, und die Sonne blickt rot und
strahlenlos durch den Schleier, der sich immer dichter um das Schiff
webt. Die Brise nimmt schnell zu, und die Obersegel müssen fort. Das
plötzliche Fallen des Barometers giebt Warnung, und der Kapitän läßt
vorsorglich einige Segel reffen. Doch kaum sind die Leute wieder unten,
da zeigt sich auf dem Wasser ein weißer Streifen — der kochende Gischt,
den der Sturm vor sich herpeitscht. Mit Stentorstimme erteilt der
Kapitän seine Befehle, im Augenblicke sind Hunderte von Händen be¬
schäftigt, sie auszuführen; aber da kommt auch schon der Sturm. Mit
furchtbarer Gewalt fällt er ein; die Fregatte legt sich auf die Seite,
als wollte sie kentern, und fliegt mit ungeheurer Gewalt durch die Wogen,
die von Minute zu Minute emporwachsen und sich schon in gigantischen
Massen um das Schiff türmen. Der Posten auf dem Vorderdeck ruft,
aber seine Worte sind nicht zu verstehen. Er zeigt ängstlich nach vorn,
die Blicke folgen der Richtung, und Schrecken malt sich auf den Gesichtern.
Dort tauchen aus dem Nebel die dunklen Umrisse von Land auf; es
ist eine der Inseln, die sich in so unheimlicher Nähe zeigt, und an deren
zackigen Klippen die Brandung heulend hinaufbrüllt. „Halt ab, halt
ab!" ertönt das Kommando. Die vier Mann am Steuerruder stemmen
sich mit ihrer ganzen Kraft gegen die Speichen des Rades — doch ver¬
gebens, die Klippen nähern sich mit grauenerregender Geschwindigkeit,
ein Segel nach dem andern fliegt, in tausend Fetzen zerrissen, in die Luft.
Steuerlos und ohne Segelkraft treibt jetzt die Fregatte gegen die
Klippen — als letztes Rettungsmittel bleiben nur noch die Anker; halten
sie nicht, dann ist der „Seestern" ohne Gnade verloren, an eine Ret¬
tung in den Booten ist bei der furchtbaren Brandung nicht zu denken.
Die beiden vorderen Anker stürzen in die Tiefe, donnernd rasseln ihnen
die schweren Ketten nach. Angstvoll sind die Blicke auf den Horizont
gerichtet — jetzt klären sie sich; die Anker haben gefaßt, sie halten, das
Schiff schwingt vor ihnen auf! Doch ein Blick auf die tobende See
zeigt das Trügerische der Hoffnung — die nächste anrollende Welle
schleudert mit Riesengewalt das Schiff in die Höhe, mit klingendem
Tone spannen sich die Ketten straff — noch halten sie, aber jeder an
Bord weiß, daß sie solche Stöße auf die Dauer nicht ertragen können.