Full text: [Teil 4 = Tertia, [Schülerband]] (Teil 4 = Tertia, [Schülerband])

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Der „ Seestern" durchschneidet in schneller Fahrt die Bai, deren 
Oberfläche bei dem über Land kommenden Winde nur wenig bewegt ist, 
der Himmel ist klar und wolkenlos, und die Segel der Fregatte blähen 
sich in bauchiger Rundung vor der seitwärts kommenden frischen Brise. 
Die Inseln sind etwa noch zwei Meilen weit entfernt, in einer Stunde 
wird man hinter ihnen das freie Wasser gewonnen und für die bevor¬ 
stehende Nacht keine Landgefahr mehr zu fürchten haben. 
Da wandelt sich allmählich das Blau des Himmels in ein rötliches 
Gelb, der Horizont verschwimmt; ein Nebel scheint sich herniederzusenken, 
er verbirgt die Inselgruppe den Augen, und die Sonne blickt rot und 
strahlenlos durch den Schleier, der sich immer dichter um das Schiff 
webt. Die Brise nimmt schnell zu, und die Obersegel müssen fort. Das 
plötzliche Fallen des Barometers giebt Warnung, und der Kapitän läßt 
vorsorglich einige Segel reffen. Doch kaum sind die Leute wieder unten, 
da zeigt sich auf dem Wasser ein weißer Streifen — der kochende Gischt, 
den der Sturm vor sich herpeitscht. Mit Stentorstimme erteilt der 
Kapitän seine Befehle, im Augenblicke sind Hunderte von Händen be¬ 
schäftigt, sie auszuführen; aber da kommt auch schon der Sturm. Mit 
furchtbarer Gewalt fällt er ein; die Fregatte legt sich auf die Seite, 
als wollte sie kentern, und fliegt mit ungeheurer Gewalt durch die Wogen, 
die von Minute zu Minute emporwachsen und sich schon in gigantischen 
Massen um das Schiff türmen. Der Posten auf dem Vorderdeck ruft, 
aber seine Worte sind nicht zu verstehen. Er zeigt ängstlich nach vorn, 
die Blicke folgen der Richtung, und Schrecken malt sich auf den Gesichtern. 
Dort tauchen aus dem Nebel die dunklen Umrisse von Land auf; es 
ist eine der Inseln, die sich in so unheimlicher Nähe zeigt, und an deren 
zackigen Klippen die Brandung heulend hinaufbrüllt. „Halt ab, halt 
ab!" ertönt das Kommando. Die vier Mann am Steuerruder stemmen 
sich mit ihrer ganzen Kraft gegen die Speichen des Rades — doch ver¬ 
gebens, die Klippen nähern sich mit grauenerregender Geschwindigkeit, 
ein Segel nach dem andern fliegt, in tausend Fetzen zerrissen, in die Luft. 
Steuerlos und ohne Segelkraft treibt jetzt die Fregatte gegen die 
Klippen — als letztes Rettungsmittel bleiben nur noch die Anker; halten 
sie nicht, dann ist der „Seestern" ohne Gnade verloren, an eine Ret¬ 
tung in den Booten ist bei der furchtbaren Brandung nicht zu denken. 
Die beiden vorderen Anker stürzen in die Tiefe, donnernd rasseln ihnen 
die schweren Ketten nach. Angstvoll sind die Blicke auf den Horizont 
gerichtet — jetzt klären sie sich; die Anker haben gefaßt, sie halten, das 
Schiff schwingt vor ihnen auf! Doch ein Blick auf die tobende See 
zeigt das Trügerische der Hoffnung — die nächste anrollende Welle 
schleudert mit Riesengewalt das Schiff in die Höhe, mit klingendem 
Tone spannen sich die Ketten straff — noch halten sie, aber jeder an 
Bord weiß, daß sie solche Stöße auf die Dauer nicht ertragen können.
	        
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