Christentum, gegen dies tote Bekenntnis trat nun Klopstock mit dem
Feuer eines lebendigen Zeugnisses auf, in dem Geiste Speners, aber
zu einer Zeit, als die gehässigen Kämpfe der Pietisten und Grtho-no
doxenpartei schon längst ansgekämpft waren und einer noch größeren
Erkältung Raum gegeben hatten, als vor diesen Kämpfen vorhanden
gewesen war. Man mag über Klopstocks christliche Dichtung urteilen
wie man will,- man mag ihr Subjektives, Willkürliches, Unkirchliches,
man mag ihr angespanntes Gefühlsleben, man mag ihre Wirksamkeit ns
auf die Erzeugung des halt- und bodenlosen Gefühlschristentums
noch so stark hervorheben — und es muß dies alles, wenn auch
nicht hier, doch in einer christlichen Kulturgeschichte mit sehr scharfem
Nachdruck geltend gemacht werden — soviel werden auch die ab¬
geneigtesten und ungünstigsten Beurteiler zugestehen müssen, daß in 120
Klopstock eine wahrhafte, echt dichterische, belebende und entzündende
christliche Begeisterung waltete, die in ihrer Zeit durchaus neu, un¬
vergleichbar und einzig war und der mächtigsten Einwirkung auf
die Zeitgenossen nicht verfehlen konnte.
Vas dritte, worin Klopstock neu, einzig und schöpferisch hervor-125
trat, waren die Maße und Formen des klassischen Rltertums, die
durch Klopstock zuerst mit deutschem Stoff und Geist erfüllt wurden.
Die ersten beiden Bestandteile, deutschen Sinn und Lhristentum, teilt
Klopstock mit den Dichtern unsrer ersten Glanzzeit, dies dritte hat
er, und mit ihm die neue Zeit, deren k)eld und Träger er war, vor 130
der alten Zeit voraus,- und sind auch die beiden ersten Eigenschaften
weder in ihm, noch in der neuen Zeit in gleicher Stärke, Reinheit
und Gediegenheit vorhanden wie in der alten Zeit, dies dritte drückt
der neuen Zeit dennoch den unvertilgbaren Stempel edler Eigen¬
tümlichkeit und Größe und einer wahren Vorbildlichkeit auf, so daß 135
sie neben der alten Zeit nicht zurückstehen darf. Sänger als zwei
Jahrhunderte war das Schrifttum der Griechen und Römer bei uns
Gegenstand der eifrigsten, angestrengtesten, allgemeinsten Forschung,
täglicher Vertiefung und unbedingter Verehrung gewesen,- länger als
zwei Jahrhunderte hatte sich der deutsche Geist gedemütigt vor dem 140
fremden und sich in der Kindheit, in der Jugend und im Rlter von
ihm in die Schule führen lassen, länger als ein Jahrhundert war
' es her, seitdem dieser fremde Geist alle eigentümliche deutsche Dichtung,
ja sogar alle deutsche Gesinnung fast vernichtet hatte, um allein zu
herrschen. — Und welche Früchte hatte bis daher jene Forschung, 145
jene Verehrung, welche Früchte hatte bisher diese strenge Schulübung
nicht etwa für die deutsche Dichtung, denn diese war beinahe von