Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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die Rede auf köstliches Edelgestein, und viele Herren und Damen 
zeigten ihre Diamanten in goldenen und silbernen Reifen gefaßt. 
Da saß der Herr Diether von Drachenfels, einer der reichsten 
Ritter, mitten dazwischen und wurde von einer Dame ange¬ 
sprochen, ob er nicht auch einen Stein im Siegelringe trage, den 
er zeigen wolle. „Wenn ich Euch meinen Stein zeige," entgeg- 
nete der Ritter, „so wird er als der beste und kostbarste von 
allen erkannt werden müssen, wie es unser Herr, der Kurfürst, 
gewiß zugestehen wird." 
Da riefen viele, daß der von Drachenfels den Stein zeige, 
und als er das that, da erhob sich ein Gelächter, denn es war 
kein leuchtender Edelstein, was in dem Goldreifen eingefaßt war, 
sondern ein grauer Granit, wie am Drachenfels gebrochen wird 
und wovon die Burg des Ritters und viele Häuser und 
Mauern gebaut stehen. „Dieser Stein," sagte der Ritter, „ist 
von dem Felsen, der mein Schloß unüberwindlich gemacht hat, 
und von höherem Werte als irgend ein Edelstein im Lande!" 
„„Der Ritter hat recht,"" rief der Erzbischof, denn er 
kannte den Wert vom Drachenfels am besten und hätte wohl all 
seine Edelsteine dafür gegeben. 
195. Der Mönch zu Heisterhach. 
(Wolfgang Müller.) 
1. Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach 
Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort; 
Der Ewigkeit sinnt tief und still er nach 
Und forscht dabei in Gottes heil’gem Wort. 
2. Er liest, was Petrus, der Apostel, sprach: 
„Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr, 
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag!“ 
Doch, wie er sinnt, es wird ihm nimmer klar. 
3. Und er verliert sich zweifelnd in den Wald; 
Was um ihn vorgeht, hört und sieht er nicht; 
Erst wie die fromme Vesperglocke schallt, 
Gemahnt es ihn der ernsten Klosterpflicht. 
4. Im Lauf erreichet er den Garten schnell; 
Ein Unbekannter öffnet ihm das Thor; 
Er stutzt, -r- doch sieh, schon ist die Kirche hell, 
Und draus ertönt der Brüder heil’ger Chor. 
5. Nach seinem Stuhle eilend, tritt er ein, 
Doch wunderbar! — ein andrer sitzet dort; 
Er überblickt der Mönche lange Reih’n: 
Nur Unbekannte findet er am Ort.
	        
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