Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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19. Der Knabe und der Lieutenant. 
(Kiüeinann Friedrich Eylert.) 
Als der König Friedrich Wilhelm III. einmal, in eine ein¬ 
fache Offiziersuniform gekleidet, mit einer seiner Töchter im 
Tiergarten spazieren geht, läuft ein armer Knabe neben dem 
von ihm nicht erkannten Könige her und bittet, ihm eine von 
den kleinen Börsen abzukaufen, die er in grosser Anzahl in 
dem vorgehaltenen Körbchen trug. Der fremde Herr weist 
ihn zurück; das Kind hört aber nicht auf zu bitten: „Ach, 
Herr Lieutenant, kaufen Sie mir doch eine Börse ab! Sie 
kostet nur sechs Groschen, und wenn Sie auch keine brauchen, 
dann schenken Sie der schönen Mamsell eine, die Sie am 
Arme haben.“ Noch einmal zurückgewiesen, seufzt der Knabe¬ 
aus tiefer Brust: „Ach, nun haben wir diesen Mittag nichts 
zu essen!“ — Jetzt steht der König still und nimmt aus dem 
Körbchen sechs Börsen, dem Kinde einen doppelten Friedrichs- 
dor reichend. 
Wie der Knabe das Geld sieht, spricht er: „Ach, gnädiger 
Herr Lieutenant, geben Sie mir lieber Groschen, ich habe 
weiter kein Geld und kann darauf nicht herausgeben.“ Gerührt 
von der Ehrlichkeit des Kindes, das mit unschuldigem, offenem 
Angesicht ihn ansieht, erkundigt er sich nach seinen Familien¬ 
verhältnissen und erfährt, dase seine Mutter, die Witwe eines 
gewesenen Feldwebels, mit sechs noch unmündigen Kindern 
in einem Dachstübchen wohne und sich kümmerlich vom Ver¬ 
fertigen kleiner Geldbörsen ernähre. „Nun,“ sagte der ver¬ 
meinte Lieutenant, „dann geh nach Hause und bringe deiner 
Mutter das Geld; ich will’s ihr schenken.“ 
Beglückt über die reiche Gabe, sais eben die arme Familie 
bei ihrem einfachen, heute besseren Mittagsbrote, als zu ihrem 
Erstaunen ein königlicher Adjutant in das kleine, aber reinlich 
gehaltene Zimmer trat, den Zusammenhang erzählte und sich 
erkundigte, ob der Knabe in allem dem Könige auch die 
Wahrheit gesagt habe; und da sich dies auch noch auf anderem 
Wege bestätigte, liess der König die jüngsten Kinder in einem 
Waisenhause erziehen und bewilligte der Witwe eine jährliche 
Pension von hundert Thalern. 
20. Der König und das Kind. 
(Rulemann Friedrich Eylert.) 
Der König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen war einst 
auf der Reise. In einem Dorfe wurde er festlid) empfangen. Die 
Schulkinder mit ihrem Lehrer begrüßten ihn, und ein kleines Mädchen
	        
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