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A. Epische Poesie. III. Legenden.
Das hat die Chronik nicht gemeldet,
Drum lass' ich's auch dahingestellt.
Alsbald begiebt sich's in der Nacht,
Daß er von einem Glanz erwacht;
Der zwingt das Aug' ihn auszu¬
schließen.
Da steht ein Mann zu seinen Füßen;
Sein Haupt trägt eine Dornenkron';
Er ist's, er ist's, des Menschen Sohn!
Mit tausend Engeln, die ihm dienen,
Ist plötzlich unser Herr erschienen
In aller seiner Herrlichkeit;
Und mit dem Mantel, welchen heut'
Der Martin aus Pannonia,
Der dessen gar sich nicht versah,
Geschenkt dem armen Bettelmann,
Ist unser Heiland angethan.
Und so der Herr zu Petrus spricht:
„Siehst du den neuen Mantel nicht,
Den ich hier auf den Schultern
trage?"
Auf des Apostels weitre Frage,
Wer ihm den Mantel denn geschenkt,
Das Aug' auf Martin hingesenkt,
Mit einem sanften Himmelston
Fährt also fort des Menschen Sohn:
„Der Martin hier, der ist es eben,
Der diesen Mantel mir gegeben.
Ermuntre dich, steh auf, mein Knecht,
Den ich erwählt, du bist gerecht!
Du warst bisher ein blinder Heide;
Das Schwert, das steck' nur in die
Scheide!
Ein Streiter Gottes soll auf Erden
Mein frommer Bischof Martin
werden!"
Als dieses Wort der Herr gesagt,
So kräht der Hahn, der Morgen tagt;
Ein Engel küßt des Mantels Saum,
Und Martin ist erwacht vom Traum,
Denkt nach, klopft an ein Kloster an
Und ist getreu nach Christi Worten
Aus einem wilden Reitersmann
Ein großer, frommer Bischof worden.
116. Das Brot des heiligen Jodokus. (i den 13. Dez. 653.)
Von Ludwig Theobul Kose garten. Dichtungen. Greifswald, 1824—1827.
Zu prüfen seines Dieners Lauterkeit,
Kam einst der Herr vor Sankt Jodokus Thür
In ärmlicher Gestalt und bat um Brot.
„Gieb," sprach Jodokus, „gieb ihm, guter Schaffner!" —
„Herr," sprach der Schaffner, „nur ein Brot ist übrig;
Was bleibt denn dir und mir und unsrem Hunde?" —
„Gieb immer!" sprach der Abt, „der Herr wird sorgen".
Der Schaffner nahm das Messer, zirkelte
Mit Fleiß und schnitt genau das eine Brot
In vier ganz gleiche Stücke, reichte eins
Den: Bettler hin und sprach nicht allzu freundlich:
„Eins dir, eins mir, dem Abt eins, eins dem Hunde".
Jodokus lächelt', und der Bettler ging.
Nicht lang', und in noch ärmlich'rer Gestalt
Kam abermals der Herr und bat um Brot.
„Gieb," sprach Jodokus, „gieb mein Stücklein ihm!
Der Herr wird sorgen". Und der Schaffner gab's.
Nicht lang', und noch verhungerter erschien
Zum dritten Mal der Herr und bat um Brot.
„Gieb," sprach Jodokus, „gieb dein Stücklein ihm!
Der Herr wird sorgen". Und der Schaffner gab's