2. Liebe deinen Naͤchsten wie dich selbst! 9
dreierlei, das will ich euch erfüllen.“ Da sagte der Arme: „Was soll ich
mir sonst wünschen als die ewige Seligkeit, und daß wir zwei, solange
wir leben, gesund sind und unser notdürftiges tägliches Brot haben;
fürs dritte weiß ich mir nichts zu wünschen.“ Der liebe Gott sprach:
„Willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wünschen?“ Da sagte
der Mann: „Ja, wenn das ginge, wär' mir's wohl lieb.“ Nun erfüllte
der Herr ihre Wünsche und verwandelte ihr altes Haus in ein schönes
neues, und als das geschehen war, verließ er sie und zog weiter.
2. Als es voller Tag war, der Reiche aufstand und sich ins Fenster
legte, sah er gegenüber ein schönes Haus, da, wo sonst eine alte
Hütte gestanden hatte. Da machte er Augen, rief seine Frau und sprach:
„Frau, sieh einmal, wie ist das zugegangen? Gestern abend stand dort
eine elende Hütte, und nun ist es ein schönes, neues Haus; lauf doch ein—
mal hinüber und höre, wie das gekommen ist!“ Die Frau ging hin und
fragte den Armen aus; der erzählte ihr: „Gestern abend kam ein
Wandrer, der suchte Nachtherberge, und heute morgen beim Abschiede
hat er uns drei Wünsche gewährt: die ewige Seligkeit, Gesundheit in
diesem Leben und das notdürftige tägliche Brot dazu und statt unsrer
Hütte ein schönes, neues Haus.“ Als die Frau des Reichen das gehört hatte,
lief sie heim und erzählte ihrem Manne, wie es gekommen war. Der
Mann sprach: „Ich möchte mich zerreißen und zerschlagen; hätt' ich das
nur gewußt! Der Fremde ist auch bei mir gewesen; ich aber habe ihn
abgewiesen.“ — „Beeile dich,“ sagte die Frau, „und setze dich auf dein
Pferd; der Mann ist noch nicht weit; du mußt ihn einholen und dir auch
drei Wünsche gewähren lassen!“
Da setzte sich der Reiche auf und holte den lieben Gott ein, redete
fein lieblich zu ihm und sprach, er möchte es doch nicht übel nehmen, daß er
nicht gleich wäre eingelassen worden; er hätte den Schlüssel zur Haustür
gesucht, derweil wäre er weggegangen; wenn er des Weges zurückkäme,
müsse er bei ihm einkehren. „Ja,“ sprach der liebe Gott, „wenn ich
einmal zurückkomme, will ich es tun.“ Da fragte der Reiche, ob er
nicht auch drei Wünsche tun dürfe wie sein Nachbar. Ja, sagte der
liebe Gott, das dürfe er wohl; es sei aber nicht gut für ihn; er solle
sich lieber nichts wünschen. Der Reiche aber meinte, er wolle sich schon
etwas Gutes aussuchen, wenn es nur gewiß erfüllt würde. Da sprach
der liebe Gott: „Reit nur heim! und drei Wünsche, die du tust, die sollen
erfüllt werden.“
Nun hatte der Reiche, was er wollte, ritt heimwärts und besann sich,
was er sich wünschen solle. Wie er so nachdachte und die Zügel fallen
F. Hirts Deutsches Lesebuch. Ausg. D. III.
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