Full text: Lesebuch für die Oberklassen katholischer Volksschulen

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222. Die Eiche und ihre Gäste. 
* Hermann Wagner. 
Der Eichbaum ist der König des Waldes. Königlich ist seine 
Erscheinung, und seine Stärke ist groß. Die graue rissige Rinde 
legt sich wie ein eiserner Panzer um seinen mächtigen Leib, und 
die dicken, zackigen Äste strecken sich wie drohend erhobene Arme 
gegen die herankommende Wetterwolke. Mit einer langen, mächti— 
gen Pfahlwurzel bohrt er sich tief in die harte Erde hinein, und 
ein Heer kräftiger Seitenwurzeln hilft den Riesen stützen und tragen. 
So steht der Eichbaum fest in Siurm und Wetter. Er wird durch⸗ 
weg 25 m hoch; es gibt aber auch Riesen, die über 30 m hoch sind. 
In dem westfälischen Dorfe Erle bei Dorsten steht eine Eiche, die am 
Boden einen Umfang von 14 m hat und in einer Höhe von 2 in noch 
so dick ist, daß sechs erwachsene Männer sie nicht umspannen können. 
Die Krone hat einen Umfang von 55 m. Das Alter des Baumes 
ist nicht bekannt, aber man weiß, daß schon im Jahre 1441 das 
Femgericht unter ihm abgehalten wurde. Durch die Länge der Zeit 
ist er hohl geworden, so daß 50 bis 60 Schulkinder in ihm Platz 
finden können. Im Jahre 1819 hat der spätere König Friedrich 
Wilhelm IV. als er bei einem Manöver durch Erle kam, den Baum 
besucht und 36 Infanteristen in marschmäßiger Ausrüstung hinein— 
marschieren lassen. Als im Jahre 1851 der münstersche Bischof 
dohann Georg in Erle firmte, stand in der Mitte der Eiche ein 
runder Tisch, an dem der Oberhirt mit 11 Geistlichen Platz nahm, 
um ein Glas Wein zu trinken. Auch bei dem Dorfe Niedereimer 
in der Nähe von Arnsberg steht ein ähnlicher Riesenbaum. 
Die Eiche ist ein gastfreundlicher Baum und gewährt Hunder— 
ten von Tieren Kost und Obdach. Blattläuse trinken den Saft der 
grünen Nätter, und Ameisen legen eine Heerstraße am Stamme an 
zu den Blattläusen hinauf. Schnecken kriechen langsam empor, um 
von dem frischen Laube zu speisen. Unten am Fuße lauert die 
Blindschleiche, welche die Schnecken, wenn sie gesättigt herabsteigen, 
berzehren will. Kleine Gallwespen laufen auf den Blättern hin und 
her und bohren mit ihrem feinen Stachel ein kleines Loch hinein. 
Ein winziges Ei kommt dann ins grüne Blatt, der Saft strömt 
hinzu, und es bildet sich ein runder Gallapfel. In ihm leben die 
Würmchen, die aus den Eiern krochen, bis sie groß genug sind, um 
sich wiederum in kleine Gallwespen zu verwandeln. Das Marien— 
küferchen schwirrt auf den Eichbaum und gibt ihm seine Eier in 
Verwahrung. Es weiß schon, daß seine Jungen an den Insekten 
auf den Blättern des Baumes reichlich Nahrung finden Eine 
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