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deutschen Volke nach den großen Jahren 1870 und 71. Überall
in deutschen Gauen wurden bei der Feier der Siegesfeste die
Lieblingsbäume des Volkes, Eichen und Linden, zur Erinnerung
gepflanzt, Gedächtnistafeln an geweihten Orten angebracht, Krieger—
denkmale errichtet, welche mit Sinnbildern geschmückt sind und die
Namen derer tragen, die im Kampfe für Deutschlands Einigung ge—
fallen sind. — So fand denn auch die Aufforderung, das Andenken
an die weltgeschichtlichen Ereignisse der eben durchlebten Zeit in
einem gemeinsamen, großen Denkmale der Nachwelt zu überliefern,
in allen Schichten des Volkes freudige Zustimmung. Die Gaben
zur Ausführung des Denkmals flossen reichlich. Als passendste
Stätte dazu wurde der Niederwald bei Rüdesheim erkannt,
jene liebliche Taunushöhe, von der man den schönsten Teil des ge—
fegneten Rheingaues überschaut und hinausblickt nach Westen bis
zu den Gebirgen, die jenseits des Rheines Deutschland von Frank—
reich trennen. Die Ausführung des Denkmals wurde dem Bild—
hauer Johannes Schilling in Dresden übertragen, und er
hat es verstanden, eine Fülle erhebender Gedanken zur Darstellung
zu bringen.
Bei einer Gesamthöhe von 34 Meter gliedert sich das National—
denkmal in drei harmonisch abgemessene Teile: den massigen Unter—
bau, das schön abgestufte Postament und die darauf thronende,
gewaltige Gestalt der Germania. In der Mitte ors Sockels,
aäm Unterbau, ist durch eine kraftvolle, männliche Figur der
rebenumkränzte „Vater Rhein“, und durch eine anmutige Frauen—
gestalt die Mosel dargestellt. Der Rhein gibt das Wächterhorn
an die Mosel ab, die nunmehr die Hüterin von Deutschlands
Westgrenze ist. Auf großen Erztafeln des Unterbaues kommen
die ergreifendsten Augenblicke und die wichtigsten Ereignisse des
Krieges zur Darstellung. Die Vorderseite zeigt vor einer säulen—
getragenen Kuppel die Reiterfigur Kaiser Wilhelms J, dessen Blick
nach oben gerichtet ist. Unter der Kuppel stehen rechts und links
vom Kaiser alle deutschen Fürsten, welche im Jahre 1870 regierten.
Im Vordergrunde drängen d deutsche Truppen hervor unter
Führung des Kronprinzen. en Friedrich Karl und an—
derer Feldherren. Fürst Bismarck und Graf Moltke stehen als die
besten Berater unmittelbar neben dem Kaiser. Die im Marsch
begriffenen Truppenteile aller Waffengattungen jubeln ihrem Helden⸗
kaiser zu und stürmen siegreich voran. Am Fuße dieser Tafel
ist das Lied: „Die Wacht am Rhein“ in Granit gegraben; die
Melodie dazu befindet sich auf dem Grenzsteine links, der einem
drohend nach Westen gerichteten Kanonenrohre zur Stütze dient.
In uͤnmittelbarer Verbindung mit dem Liede stehen vor der Erztafel
zwei große Gestalten, links das Sinnbild des Krieges, rechts das des
Friedens. „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“, diese Eingangs—
Deuntves Lesebuch, UIIa.
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