Full text: Deutsches Lesebuch für die Oberstufe mehrklassiger Schulen

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18. Und die Sonne geht unter; da 
steht er am Thor 
Und sieht das Kreuz schon erhöhet, 
Das die Menge gaffend umstehet; 
An dem Seile schon zieht man den 
Freund empor, 
Da zertrennt er gewaltig den dichten 
Chor: 
„Mich, Henker", ruft er, „erwürget! 
Da bin ich, für den er gebürget!" 
19. Und Staunen ergreift das Volk 
umher; 
* In den Armen liegen sich beide 
Und weinen vor Schmerzen und Freude. 
Da steht man kein Auge thränenleer, 
Und zum Könige bringt man die Wun¬ 
dermär; 
Der fühlt ein menschliches Rühren, 
Läßt schnell vor den Thron sie führen — 
20. Und blicket sielangeverwundert an. 
Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen, 
Ihr habt das Herz mir bezwungen: 
UnddieTreue, sieistdochkeinleererWahn, 
So nehmet auch mich zum Genossen an; 
Ich sei, gewährt mir die Bitte, 
In eurem Bunde der dritte!" 
F. v. Schiller. 
198. Der alte Landmann an seinen Sohn. 
1. Ueb' immer Treu' und Redlichkeit 
Bis an dein kühles Grab, 
Und weiche keinen Finger breit 
Von Gottes Wegen ab! 
2. Dann wirst du wie auf grünen 
Au'n 
Durchs Pilgerleben gehn, 
Dann kannst du ohne Furcht und Grau'n 
Dem Tod ins Auge sehn. 
3. Dann wird die Sichel und der Pflug 
In deiner Hand so leicht; 
Dann singest du beim Wasserkrug, 
Als wär' dir Wein gereicht. 
4. Dem Bösewicht wird alles schwer, 
Er thue, was er thu'; 
Das Laster treibt ihn hin und her 
Und läßt ihm keine Ruh'. 
5. Der schöne Frühling lacht ihm nicht, 
Ihm lacht kein Ährenfeld; 
Er ist auf Lug und Trug erpicht 
Und wünscht sich nichts als Geld. 
6. Der Wind im Hain, das Laub 
am Baum 
Saust ihm Entsetzen zu; 
Er findet nach des Lebens Traum 
Im Grabe keine Ruh'. 
7. Drum übe Treu' und Redlichkeit 
Bis an dein kühles Grab, 
Und weiche keinen Finger breit 
Von Gottes Wegen ab! 
8. Dann segnen Enkel deine Gruft 
Und weinen Thränen drauf, 
Und Sommerblumen voller Duft 
Blüh'n aus den Thränen auf. 
8. Chr. Hölty. 
199. Der hohe Staufen. 
In der Mitte des schwäbischen Landes, fast gleich weit vom Rhein, 
vom Lech und dem Bodensee entfernt, erhebt sich der hohe Staufen, ein 
kegelförmiger Berg, auf dessen Gipfel einst das Stammhaus der schwäbischen 
Herzoge und Kaiser gestanden hat. Weithin ist des Berges Haupt sichtbar, 
und du magst kommen, von welcher Richtung du willst, so beut er dir seinen 
kahlen Scheitel entgegen. Es beherrscht eben so die Gegend und die niederen 
Berge, wie die mächtige Regentenfamilie, die einst hier wohnte, die Land-, 
schuft umher beherrscht hat. Der baumlose Gipfel des Berges gewährt 
eine herrliche Aussicht. Gegen Süden übersieht man die schwäbische Alp 
wit ihren begrünten Höhen oder zackigen Felsen; hinter ihr ragen in weiter 
bläulicher Ferne wie Wolken am Horizont die Schneegebirge Tyrols und 
der Schweiz hervor. Gegen Westen erblickt man die schönen Gegenden, 
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