17
ungeheure Berghöhle, wo er sie mit Speise und Trank reichlich versorgte
und ihr alle Liebe und Freundlichkeit erwies; aber die'Jungfrau weinte und
klagte und sehnte sich nach ihrem elterlichen Hause, und dabei fürchtete sie
sich vor dem greulichen Ungethüm, denn wenn es athmete, so zitterte und
bebte der Berg unter ihm.
Der König Gibich schickte Boten aus nach allen Richtungen, um seine
verlorene Tochter zu suchen, aber keiner fand eine Spur von ihr. Darüber
war viele, viele Tage lang großes Trauern und Klagen in der Königsburg.
Siegfried aber ward indessen ein gewaltiger Held von solcher Stärke, daß
er Bären lebendig erjagte und zum Spott an die Bäume hieng. Doch
auch er fand trotz seines rastlosen Suchens nirgends die geraubte Jungfrau.
Da verfolgte sein treuester Hund eine seltsame Spur, und Siegfried jagte
ihm eifrig nach, ohne an Schlaf oder Trank und Speise zu denken, bis er
endlich am vierten Tage in einen wilden, unwegsamen Wald gerieth und
sich völlig verirrte. Hier wäre er wohl verloren gewesen trotz aller seiner
Stärke; aber als er laut über sein Mißgeschick klagte, kam der Zwergkönig
Eugel auf kohlschwarzem Rosse daher. Sein Kleid war von weißer Seide
und mit Gold durchwirkt; auf dem Haupte trug er eine prachtvolle Krone
mit so glänzenden Edelsteinen, daß der dunkle Wald davon erleuchtet ward.
Er begrüßte Siegfried freundlich, als ob er ihn lange gekannt hätte, dann
aber gebot er ihm schnell zu fliehen, weil ganz in der Nähe ein Drache
hause, der eine schöne Jungfrau gefangen halle; „wenn dieser dich erblickt",
sagte er, „so mußt du dein junges Leben in diesem Walde verlieren." Da
freute sich Siegfried, der gefangenen Kriemhild so nahe zu sein, und er er¬
klärte dem Zwerge, daß er gerade gekommen sei, um sie zu befreien, aber
erschrocken rief Engel: „Du willst dich solches Dinges unterfangen? Hättest
du auch den halben Erdkreis bezwungen, so würde dir das doch nichts helfen;
die Jungfrau müßtest du hier auf dem Felsen lassen. Denn den Schlüssel
zu demselben bewahrt der Riese Kuperan, und che du auf die Höhe ge¬
langtest, müßtest du mit ihm einen Kampf bestehen, wie er ans Erden noch
nicht gekämpft worden ist." Gerade dies aber lockte den kühnen Siegfried,
und was auch der gute Engel sagte, um ihn zu warnen, so blieb er doch
fest entschlossen, die geraubte Kriemhild ans allen Gefahren zu erretten.
3. Wie Siegfried den Riesen besiegte.
Nun führte der Zwerg den Helden an die Seite des Felsen, wo des
Riesen Behausung war. Siegfried rief laut in die Höhle hinein. Sofort
trat Kuperan hervor, bewaffnet mit einer weit über die Bäume hinaus¬
ragenden Stange von Stahl, deren vier Kanten messerscharf waren und
die einen Klang gab wie eine Kirchenglocke. „Was willst du, junger Bursch,
in diesem Walde?" sprach der Riese. „Ich will die Jungfrau erlösen",
antwortete Siegfried, „welche auf diesem Felsen gefangen sitzt." „Hoho!"
sagte jener, „du kleiner Wicht, da müßtest du erst noch einige Ellen wachsen."
Jetzt holte der Riese mit seiner Stange aus, um Siegfried niederzu¬
schlagen; aber dieser sprang schnell und gewandt fünf Klafter weit zurück,
und sausend fuhr die Stange tief in die Erde hinein. Ehe Kuperan sie
aber wieder herausgezogen hatte, sprang Siegfried hinzu und schlug ihm
2