Full text: [Teil 5 = [7. u. 8. Schuljahr], [Schülerband]] (Teil 5 = [7. u. 8. Schuljahr], [Schülerband])

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Verkehrsadern durchziehen, rempeln einander an, drängen und stoßen 
sich, kaum daß für einen Pascha Platz gemacht wird. Den mitten 
im Wege liegenden Kötern aber weichen sie sorgsam aus, und 
müßten sie in den Straßenschmutz treten, auf die Gefahr hin, unter die 
Räder eines daherrollenden Wagens zu geraten. Als wären diese 
schlafenden Hunde Meilensteine oder Caternenpfosten, so weichen ihnen 
auch Pferde, Uamele und Esel aus, ebenso der Kutscher mit seinem 
Wagen, der Lastträger mit seinen schweren Bündeln, ja selbst der 
Kawaß irgend eines Botschafters, der sonst für seinen Herrn sogar 
die Menschen aus dem Wege jagt. Wie leicht wäre es, die Hunde zu 
vertreiben! Man brauchte ja nur seinen Stock zu erheben oder ihnen 
einen Fußtritt zu geben, um Platz zu schaffen und seine reinen 
Schuhe gegen den Straßenschmutz zu schützen. Es geschieht aber nicht. 
Die Hunde haben Konstantinopel in eigne Gebiete geteilt, besser, 
als es die Stadtverwaltung getan, und bei dieser Einteilung ist es 
seit undenklichen Zeiten geblieben. Jede Straße, jeder Platz hat 
eine bestimmte Hundebrigade, und niemand wagt es, ihnen ihr 
Bereich streitig zu machen. Sie kennen dort jedes Haus, jeden Laden, 
jeden einzelnen Winkel, sie kennen die Straßenbewohner und wissen 
ganz genau, auf welchem Unratshaufen die besten Leckerbissen zu 
finden sind. Ja, sie scheinen die Speisezettel der einzelnen Familien 
an jedem Wochentage zu kennen, denn zu bestimmten Zeiten sind 
sie alle erwartungsvoll vor bestimmten Haustüren zu finden. Sie 
sind auch nicht so diebisch wie ihresgleichen in andern Ländern. 
Selten hört man davon, daß irgend einer in einem Wurst- oder 
Fleischladen eine verstohlene Anleihe gemacht habe. Sie sind zu gute 
Diplomaten dafür und wissen, daß es die beste Politik ist, mit ihren 
zweibeinigen Straßenbewohnern auf freundschaftlichem Fuß zu leben. 
Der Fleischer z. B. hat ja doch wohlschmeckende Abfälle, mit denen 
er nichts anfangen kann, und so warten die Nöter geduldig vor dem 
Caden, bis er sie ihnen zuwirft. Man würde es kaum für möglich 
halten, wie viel Klugheit in ihnen steckt. Sie kennen genau die 
Plätzchen, die die Sonne am längsten bescheint, und rollen sich dort 
zum Schlaf zusammen, wenn es auch die Mitte der von Fuhr— 
werken belebten Straße wäre. Sie wissen ja, daß ihnen alles nach 
Tunlichkeit aus dem Wege geht. Sie halten genau die Stunden 
ein, zu denen in den einzelnen Häusern die Speisereste auf die Straße 
oder in den Hinterhof geworfen werden, und sind rechtzeitig zur
	        
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