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in der Nähe Riels. In kühnem Bogen schwingt sie sich von
einem RKanalufer zum andern. Sie spannt 164 Meter und ist
die zweitgrösste Bogenbrücke der Welt. „Der höchsten Schiffe
höchste NMasten ziebn unter ihrem Bogen hin,“ der sich nicht
weniger als 42 Meter über den Wasserspiegel erhebt.
Zwei andere gewaltige Bauten liegen jetzt, nach Vollendung
des Kanals, im Wasser verborgen. Es sind die beiden mãchtigen
Schleusen an den Ausmündungen des Kanals. Die Lhorflügel
sind so dick, dals in ihrer hohlen Wandung die Arbeiter bequem
hantieren konnten. Bewegt werden diese riesigsten aller Thore
durch Dampfkraft und zwar trotz ihrer Grölse mit spielender
Leichtigkeit. Die Rieler Schleuse wird nur bei starken Ost- undl
Nordstũrmen, etwa 25 Tage im Jahre, geschlossen. Sonst steht
sie das ganze Jahr offen. Die westliche Schleuse dagegen ist
wegen des Wechsels von Ebbe und Flut in der Ebe immer nur
wenige Stunden des Tages geöffnet.
Die grosse Bedeutung des Kaiser Wilhelm-Kanals fãllt
ohne weiteres in die Augen. Die Ostsee wird der Nordsee und
damit dem Atlantischen Ocean um etwa dreissig Stunden PVahrt,
naher gerückt, und der gefährliche Weg um Skagen vird ver—
mieden. Zugleich ist der Kanal von grösster Wichtigkeit für
die Landesverteidigung, da er die beiden Kriegshäfen Riel und
Wilhelmshaven auf kürzestem Wege miteinander verbindét.
Es können infolgedessen die Nordsee- und Ostseeflotte sich
jederzeit schnell und von Feinden ungesehen vereinigen und, je
nachdem es nötig ist, geschlossen oder getrennt in der Ostsee
oder in der Nordsee einem feindlichen Geschwader entgegen-
treten.
In den Tagen vom 19. bis 22. Juni 1895 fand die feierliche
Eröffnung des Kanals statt. Die herrliche Kieler Föhrde war
in diesen Tagen belebt von Rriegsschiffen aller seefahrenden
Nationen. Da sah man friedlich nebeneinander gelagert aulser
26 deutschen die auserlesensten Schlachtschiffe Englands, Prank-
reichs, Italiens, Amerikas u. s. V., 53 an der Zahl. Neben ihnen
erblickte man eine grosse Zahl von kleinen und grossen Handels-
und Verkehrsfahrzeugen, mit bunten Mimpeln reich geschmückt.
Es war ein erhebender, unvergesslicher Augenblick, als die
kaiserliche Jacht Hohenzollern, gefolgt von 22 deutschen und
ausländischen Schiffen, aus dem Kanal in den Hafen einfuhr.
Hoch oben auf der Kommandobrücke stand unser Kaiser, begrülst