I
157. Wie der Wald erwacht.
v. Tschudi.
Wenn noch die Sterne fröhlich am blauen Nachthimmel schimmern, be—
ginnt es im Walde sich zu regen. Die Amsel erwacht. Sie schüttelt den
Thau von ihrem schwarzglänzenden Gefieder, wetzt den Schnabel am Zweige
und hüpft höher hinauf am Ahornbaum. Sie wundert sich fast, daß der
Wald noch fortschläft. Zweimal, dreimal ruft sie über die Berge hin. Dann
flötet sie mit Macht ihre Weisen, bald lustig, bald klagend.
Rasch erwacht nun das Leben im Walde. Der Kuckuk läßt seinen Lock—
ruf hören. — Aus den Schornsteinen im Dorfe erheben sich bläuliche Rauch—
säulen; in den Gehöften bellen hin und wieder die Hunde; eine Kuhglocke
ertönt. Nun erheben sich alle Vögel aus ihren dunkeln Büschen. Wie 10
manches kleine, arme Vögelein lebt freudig auf! Hat es doch eine bange,
angstvolle Nacht hinter sich. Es saß auf seinem Zweige, den Kopf ins Ge—
fieder gedrückt. Da flog im Sternenschein eine Eule durch die Bäume und
wählte sich eine Beute; aus seinem Eichhornnest kam der Marder herunter;
durch die Büsche war der Fuchs gegangen. Das Vöglein hatte alle gesehen. 15
In der Luft, auf dem Baume, auf dem Boden hatte das Verderben gelauert
viele traurige Stunden lang. Angstvoll hatte er gesessen und sich nicht zu
regen gewagt. Ein paar junge Buchenblätter hatten es verdeckt und ge—
schützt. Wie fröhlich hüpft es jetzt hervor, da es Tag wird! In klaren
Schlägen ruft der Buchfink, hell singt das Rothkehlchen vom Wipfel des ?20
Lärchenbaums, der Weidenzeisig im Erlengebüsch. Dazwischen trillert der
Hänfling, kollert die Baummeise, jubelt der Distelfink, piept der Zaunkönig
und das Goldhähnchen. Welches Morgenconcert in den grünen Hallen des
Waldes!
158. Gefunden.
Göthe.
1. Ich ging im Walde 3. Ich wollt es brechen,
so für mich hin, da sagt' es fein:
und nichts zu suchen, Soll ich zum Welken
das war mein Sinn. gebrochen sein?
2. Im Schatten sah ich 4. Ich grub's mit allen
ein Blümchen stehn, den Würzlein aus,
wie Sterne leuchtend, zum Garten trug ich's
wie Äuglein schön. am hübschen Haus.
5. Und pflanzt' es wieder
am stillen Ort;
nun zweigt es immer
und blüht so fort.
159. Das Eichhörnchen.
v. Tschudi.
Wohl die meisten unter euch haben das Eichhorn im Walde belauscht,
wie es, hoch auf dem Tannenaste sitzend, mit den Vorderfüßchen den Zapfen
hält und rüstig den platten Samen aus dem dichten und festen Blätter—
gehäuse herausnagt. Gerade auf hat es den schönen Buschschweif gestellt «0
N
25
30
33