Full text: Lesebuch zur Geschichte der deutschen Literatur alter und neuer Zeit

Bluüthe der ritterlichen (romantischen) Poesie. 
Da sprach König Herwig: „Wohl traur ich um die Maid: 
Sie ist mein Weib gewesen auf alle Lebenszeit. 
Sie war mir zugeschworen mit Eiden fest und stäte: 
Nun hab' ich sie verloren durch des alten Ludwigs grimme Räthe.“ 
„Ihr wollt mich betrügen,“ sprach die reine Magd, 
„Von Herwigens Tode war mir oft gesagt. 
Die höchste Wonn' auf Erden sollt' ich in ihm gewinnen: 
Wär' der noch am Leben, so hätt' er längst mich geführt von hinnen.“ 
Da sprach der edle Ritter: „So seht meine Hand, 
Ob ihr das Gold erkennet: Herwig bin ich genannt 
Mit diesem Mahlschatz sollt' ich Gudrunen minnen; 
Seid ihr denn meine Gattin, wohlan, ich führ' euch minniglich von hinnen.“ 
Wie nach der Hand sie schaute und nach dem Ringelein, 
Da lag in dem Golde von Abale der Stein, 
Den besten, den sie je gesehn all ihres Lebens Tage; 
Einst hatt' ihn Gudrune, die schöne, selber an der Hand getragen. 
Sie lächelte vor Wonne: da sprach das Mägdelein; 
„Das Gold erkenn' ich wieder, vor Zeiten war es mein. 
Nun sollt ihr dieses sehen, das mein Geliebter sandte, 
Da ich armes Mädchen mit Freuden war in meines Vaters Lande.“ 
Wie nach der Hand er schaute und das Gold ersah, 
Herwig ihr Trauter sprach zu Gudrun da: 
„Dich hat auch anders Niemand als fürstlich Blut getragen; 
Nun hab' ich Freud' und Wonne gesehn nach langem Leid und bösen Tagen.“ 
Da umschloß re mit den Armen die herrliche Maid; 
Was sie gesprochen hatte, gab ihnen Lieb und Leid. 
Auch bedeckt' er ihr mit Küssen den Mund, die Niemand zählte, 
Ihr und Hildeburgen, der minniglichen Magd, der auserwählten. 
Der Wäsche nun vergaßen die herrlichen Fraun. 
Wohl konnt' es aus der Ferne die böse Gerlind schaun, 
Daß sie müßig waren da unten auf dem Strande. 
Da zürnte sie gewaltig; ihr lagen sehr am Herzen die Gewande. 
Da sprach die schöne Hildburg, die Maid aus Irland: 
„Was laßt ihr, Königstochter, liegen das Gewand, 
Daß ihr Ludwigs Degen zu waschen säumt die Kleider— 
Und wird das Gerlind inne, so that sie uns mit Schlagen niemals leider.“ 
Da sprach die Tochter Hildens: „Dazu bin ich zu hehr, 
Der bösen Gerlind waschen will ich nimmermehr. 
Nun verschmäh' ich Dienste zu leisten so geringe, 
Da mich zwei Könige küßten und mit den Armen herzend mich umfingen.“ 
„Ihr dürft mir nicht verdenken,“ hub Hildburg wieder an, 
„Daß ich zum Waschen rathe: wir thäten klüger dran, 
Als daß wir so die Kleider in die Kammer tragen, 
Sonst wird uns beiden der Rücken übel heute noch zerschlagen.“ 
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