Full text: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter

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Aus diesem öden Jammerthal, So waren sie dahin gekommen, 
Wo nichts es gibt als Leid und Daß sie sich willig wiesen 
Qual, Und ihre Rede priesen. 
Wo oft ein Tag von hinnen rafft, Da freute sich die reine Magd 
Was ihr im ganzen Jahr geschafft, Und als es hatte kaum getagt, 
Wo Sturm und Blitz und Hagel Ging sie hin, wo ihr Herre schlief. 
haust Sein traut Gemahl da nach ihm 
Und eure Ernten euch zerzaust. rief 
Ihr liebt mich, wohl, so laßt es Und sagte: Herr, was schlafet ihr?“ 
sehn „O nein, Gemahl. Doch sage mir, 
Und zögert nicht und laßt geschehn, Was bist du heute auf so früh?“ 
Was mir gereicht zu Heil und „Der Jammer zwinget mich“ sprach 
Ehren, sie, 
Laßt mich zu meinem Heiland kehren, „Den ich um eure Krankheit trage“ 
Zu meinem Herren Jesus Christ, Das ist beständig deine Klage, 
Deß Gnade ohne Wandel ist, Gemahl“, sprach er, „kund thatst 
Deß Liebe alle Welt umfaßt, du's schon, 
Und der den Sünder selbst nicht Daß Gott dir sende seinen Lohn 
haßt, Doch kann für mich nicht Hilfe 
Vor dessen Augen alle gleich, sein.“ 
So hoch wie niedrig, arm wie reich: Das sagt nicht, lieber Herxe mein, 
Er nimmt mich also liebend hin, Und werdet noch der Hilfe froh. 
Als wär' ich eine Königin. Denn da es mit euch stehet Ü 
O Mutter, weine, klage nicht, Daß man euch Hilfe briugen mag, 
Ich leiste nichts als meine Pflicht. So säume ich nicht einen Tag. 
Nicht wirst an meinem Grab du Ihr habt uns ja, mein Herr, ge— 
stehn, faghl 
Du wirst es nie vor Augen sehn, Wenn ihr nur fändet eine Magd, 
Denn. fern von hier werd' ich er- Die für euch duldete den Tod, 
sterben Entkämet ihr noch eurer Noth 
Und unser aller Heil erwerben. Dazu erbiet' ich selber mich. 
Ich bau' auf Gott, er wird mich Viel besser, ihr lebt, als wie ich“ 
retten, Da dankte für den guten Willen 
Erlösen aus des Todes Ketten!“ Herr Heinrich ihr, indeß sich füllen 
Da sie die Tochter sahen Die Augen ihm vor Schmerzen, 
So schnell dem Tod sich nahen Die er trug tief im Herzen 
Und hörten, wie sie weise sprach Er sprach: „Gemahl, es ist der Tod 
Und ganz der Menschheit Schranken Nicht eine so geringe Noth, 
brach, Als du dir selbst vielleicht gedacht. 
Da meinten beiderseitig sie, Das hast du mir wohl kund ge— 
Daß eine solche Weisheit nie macht, 
Und so gewandte, kluge Rede Vermöchtest du's, du hülfest mir 
Kund eines Kindes Zunge thäte. Und das genügt mir auch von dir. 
Sie sprachen, daß der heil'ge Geist Ich kenne deinen schönen Sinn— 
Ihr bei der Rede half zumeist. Rein ist dein Wille immerhin 
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