Full text: Lesestücke zum Weltkrieg

118. W îα:» otet 
zu verletzen. Einem Offizier ist das Geschoß, das den Hals durchbohrte, 
hinter der Luft- und der Speiseröhre dicht an der Nervenkreuzung vor— 
übergegangen, deren Verletzung ihm Arme und Beine gelähmt hätte 
Das sind Erfahrungen wunderbarer Bewahrung, die jedem eindrücklich 
bleiben und die einem die kleinliche Angst nehmen müssen. Gibt es auch 
einzelne, die jammern und klagen, so verschwindet ihre Zahl; der Grund— 
ton ist dankbare Zufriedenheit und mannhastes Gottvertrauen. 
Leitzen, Der große Krieg von 1914 15. 
60. „Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!“ 
E kann kein zweites Volk geben, das so begeistert ist wie das 
unsrige. Wir haben Beweise gehabt, die uns das Herz zusammen— 
gezogen haben. Wenn ein gesunder, kräftiger Mensch diese Begeisterung 
hat, so ist das verständnisvoll; er fühlt sich dazu berufen, seine Kraft und 
seinen Mann zu stellen, und er weiß ja auch vorher nicht, was ihn er— 
wartet. Aber wenn ein schwerverwundeter Soldat in seinem größten 
Schmerz den Wunsch hat, nur wieder hinauszukönnen, dann: Lieb' Vater— 
land, kannst du wirklich ruhig sein, der Mut und die Tapferkeit deiner 
Söhne allein muß schon zum Siege führen. Ich könnte viele Beispiele 
angeben, die den Mut unserer Braven beweisen, will es aber mit 
wenigen genug sein lassen. 
Einem Verwundeten hatte ein Geschoß den Mittelfinger fast weg— 
gerissen. Den Verband hatte ihm ein Kamerad angelegt. Ich nahm ihn 
ab und verband ihn so, daß die übrigen vier Finger frei blieben. Dieses 
hatte meinen Patienten zum Entschluß gebracht, zum Regiment zurück— 
zukehren. Er meinte, es ginge so schon wieder und weigerte sich, mit 
dem Transport in die Heimat zu fahren. Ich erreichte dann beim Arzt, 
daß sein Wunsch erfüllt wurde, und beim Abschied drückte er mir mit den 
übrigen vier Fingern kräftig die Hand und meinte: Schau'ns, Schwester, 
ihob' no a Kraft!“ — Meine besten Wünsche begleiteten den Tapferen. 
Mit Erlaubnis des Arztes durfte ich einem anderen Verwundeten 
ein Dum⸗Dum-Geschoß aus dem Fuße herausziehen. Es war unten 
durch den Anprall ganz hakenförmig gebogen. Als ich das Geschoß dem 
Patienten übergab, war es wie eine Medizin für ihn, die plötzliche 
Linderung bringt. Er strahlte vor Stolz und Glück, und wie ein Heiligtum 
verbarg er es in seinem Brustbeutel. „Im Felde da ist der Mann noch 
was wert, da wird das Herz noch gewogen“ — so heißt es in dem Liede 
Und es ist wahr; den wirklichen Soldaten lernt man erst draußen kennen, 
wenn er vom Felde kommt, da sieht man es ihm an, was er erlebt, was
	        
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