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aus wurde er der Regierung erst recht gefährlich. Dieser ein-
flußreiche Mann wurde bei seinem nationalen Streben vom
Klerus unterstützt und gab deshalb seinen Kampf gegen die
katholische Kirche auf.
So lag denn reicher Brennstoff aufgehäuft, als die Juli¬
revolution den zündenden Funken hineinschleuderte. Während
der König verblendet blieb, las man mit Anspielung auf die
Vorbereitungen zu dessen Geburtsfeste am Morgen des 22.
Augustes zu Brüssel folgendes Programm: „Montag den 23.
Feuerwerk, Dienstag den 24. Illumination, Mittwoch den 25.
Revolution." Auffallender Weise ließ ein Hofbeamter am
Abende des 25. August 1830 im königlichen Theater zu Brüssel
die Oper: „Die Stumme von Portici" geben, in welcher die
Erhebung der Neapolitaner gegen die spanische Herrfchaft
unter Leitung des Fischers Masaniello gefeiert wird. Die
Stellen, welche den Haß gegen Unterdrückung und den Kampf
für die Freiheit preisen, wurden von dem Publicum mit stürmt-
schem Beifall aufgenommen. Aber vor dem Theater hatten
sich große Haufen niederen Volkes versammelt, die nach be-
endigter Vorstellung in den Ruf ausbrachen: „Es lebe de
Potter? Nieder mit van Maanert!" Vom Theater aus stürzte
die Menge nach den Häusern des Ministers van Maanen,
des Polizeidirectors und eines ministeriellen Journalisten,
plünderten sie aus, steckte sie in Brand und würde ihre Wuth
auch an den Personen ausgelassen haben, wenn sich diese
nicht zeitig gerettet hätten. Nachts wurden alle Waffenläden
erbrochen, und das Zerstörungswerk am folgenden Tage wie-
herholt. Statt der königlichen Wappen wurden die Farben
des alten Herzogthums Brabant aufgesteckt.
Um der Zerstörungswuth des Pöbels zu steuern, trat
die Brüsseler Bürgerschaft zu einer Nationalgarde zusammen,
und ein Bürgerausschuß übernahm bei der Ohnmacht der
Behörden die öffentliche Gewalt. Man sandte am 29. August
eine Deputation an den König nach dem Haag, um von ihm
Aenderung des bisherigen Regierungssystems, Entlassung der
mißliebigen Minister und schleunige Berufung der General-
staaten zu verlangen. Inzwischen hatte sich mit Ausnahme
Antwerpens, Mastrichts, wo starke Besatzungen lagen, die re¬
volutionäre Bewegung über ganz Belgien verbreitet, und von
Stacke, neueste Geschichte. 3. Aufl. 7