Abbildung 2 verstattel einen Blick in die südliche unterirdische
Anlage. Während die äußere Burgmauer aus rohen, unförmigen
Steinblöcken aufgetürmt ist, nähert sich hier das aufgehende Mauer-
werk dem regelrechten Quaderbau. Wie ist die (falsche) Wölbung
der Kammereingänge, wie die des Ganges hergestellt?
Das weltberühmte, nie ganz verschüttete Löwentor von
Mykenä (3) ist ein redender Zeuge der mykenischen Blütezeit. Die
Torwand springt zwischen einem starken Turme (r.) und einer auf
dem Fels aussetzenden Mauer (l.) weit zurück; welche Rücksicht war
hierfür maßgebend? Aus zwei leicht gegeneinander geneigten Pfosten
liegt ein ungeheurer Steinbalken von 5 m Länge, 2,50 m Tiefe und
1 m Höhe. Zu seiner Entlastung ist darüber ein Dreieck ausgespart,
welches durch eine Kalksteinplatte in erhabener Arbeit (Relief) aus-
gefüllt wird: zwei Löwinnen ruhen hoch aufgerichtet mit den Vorder-
tatzen auf einem altarartigen Untersatz und bewachen mit einst dem
Ankömmling drohend entgegengewandtem Rachen (die angestückten
Köpfe sind verloren) eine zwischen ihnen emporsteigende Säule, die
sich nach unten verjüngt und oben mit einem Stück Dachgebälk
belastet ist; sie vertritt anscheinend den Herrscherpalast.
Schon die Verjüngung nach unten beweist, daß die ägäische
Säule ursprünglich eine Holzsäule war. Die Prachtsäule von Mykenä
(4) läßt den Aufbau erkennen. Nicht mehr erhalten ist die flache
runde Steinplatte (Basis), die dem glatten Schaft ein festes Auflager
gab. Das Säulenhaupt (Kapitell) besteht aus drei Teilen: ein aus-
ladender, überhängender Blätterkranz trägt einen polsterartigen runden
Wulst, den Hauptvermittler zwischen Stütze und Last; ein gleichfalls
ausladendes Mittelglied leitet zu der viereckigen Deckplatte (abacus)
über. Holzsäulen wurden zuweilen mit Metallblech in getriebener
Arbeit bekleidet (inkrustiert); 4 ist die Nachbildung einer solchen in-
krustierten Säule in Marmor.
Von der außerordentlichen Bedeutung des Ahnenkultus reden
die Königsgrüber. In ältester Zeit wurden die Toten, über und
über mit Goldblechschmuck bedeckt, unter wertvollen Beigaben in
Schachtgräbern beigesetzt, die eine Deckplatte schloß; Grabsteine
mit Reliefschmuck bezeichneten die Stätte. Eine zweite Bestattnngs-
art ist diese: man höhlt dem Toten eine Wohnung — das ist das
Grab im Felsen aus, von der gleichen bienenkorbartigen Form,
wie einst die Wohnungen der Lebenden. Beide Arten sind vereinigt
in der gewaltigen, unter dem irreführenden Namen „Schatzhaus des
Atreus" bekannten Grabanlage (5a Querschnitt, 5b Grundriß». Be¬
schreibe den Grundriß! Der Sturz der 6 m hohen Prachttür greift
beiderseits über den 6 m breiten Dromos hinaus und hat ungeheuer-
liche Abmessungen: fast 9 m Länge, über 4 m Tiefe, über 1 m Höhe;
Gewicht 112000 kg! Die Höhe des Kuppelraumes ist gleich dem
Durchmesser des Grundkreises, etwa 15 m. Hier ist die „falsche"
Wölbung höchst kunstreich auf die Kreisform übertragen: 33 nach
oben enger werdende Steinringe legen sich so lange konzentrisch über-
einander, bis sie oben durch eine Platte geschlossen werden; ringsum
wird Erde aufgeschüttet. Die Kurve der inneren Wölbung war an
den Quadern vor dem Versetzen ausgearbeitet. Den Jnnenraum
schmückten regelmäßig angeordnete vergoldete Bronzerosetten. Bis zum
Pantheon Hadrians kennt das Abendland keinen größeren ohne An-
wendung von Stützen geschaffenen Rundbau.
Von den mykenischen Schmuckformen geben die beiden Gold-
plättchen (6a) einen Begriff; das eine weist auf Metalldrahttechnik
zurück, das andere ahmt eine in mykenischer Zeit sehr beliebte Natur-
sorm nach, den Tintenfisch. Waffen und Kleidung der Altachäer
zeigt die kunstvoll eingelegte Dolchklinge (6 b). Wieviel Männer sind
am Kampfe beteiligt? Wie sind sie bekleidet? bewaffnet? Welche
beiden Schildarten sind zu unterscheiden? Wie wird der Schild
getragen? Im übrigen untersteht die ägäische Kunst vielfach orten-
talischen Einflüssen.
Einen wesentlich anderen Charakter als Tiryns und Mykenä
tragen die Paläste von Knosos und Phaistos auf Kreta. Sie
waren keine Burgen, sondern unbefestigt; ein auswärtiger Feind war
also nicht zu befürchten. So bestätigen diese Entdeckungen die alten
Sagen von der Seeherrschaft des Königs Minos. Auch der Grundriß
ist völlig verschieden; er zeigt mehrgeschossige, vielgegliederte Anlagen,
die sich um einen großen Hof gruppieren.