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Glätte des Styls, an Vollendung des Periodenbaues, an Wohllaut der
Sprache und kunstvoller Anordnung hat ihn keiner der übrigen Redner
übertroffen. An einer Lobrede auf die Athener, welche zu Olympia
vorgelesen ward, soll Jsokrates zehn Jahre gearbeitet haben und schlie߬
lich läßt sie den Leser kalt, weil die Kunst hier jeden Funken natürlicher
Wärme verdrängt hatte.
Zu der Zeit, da Griechenland seinen letzten Freiheitskampf kämpfte,
lebte und wirkte zu Athen der größte Redner des Alterthums, Demo¬
sthenes. In ihm leuchtete noch einmal der volle Glanz des attischen
Geistes auf. Wenn auch vieler Irrthümer beschuldigt und eines ver¬
geblichen und eigensinnigen Kampfes um die letzten Reste der ohnmäch¬
tigen griechischen Selbstständigkeit, steht Demosthenes doch in einer rüh¬
renden Glorie an der Grenzscheide der Zeiten im Abendschein hellenischen
Volksthums. Staatsmännische Weisheit, begeisterte Ueberzeugung ver¬
einten sich in ihm mit reiner, sittlicher Würde und Gesinnung. Seine
Sprache war, um mit einem alten Autor zu reden, großartig und schlicht,
reich und doch ungeziert, ernst und doch lieblich und eindringlich, ein
treuer Abdruck des Innern und Andere tief ergreifend.
Demosthenes war 385 v. Chr. geboren. Seine körperlichen Anlagen
waren nichts weniger als geeignet, ihn zu dem berühmtesten Redner der
alten Welt zu machen; dafür war ihm ein Grad von Willenskraft und
Ausdauer verliehen, welchem kein Hinderniß unüberwindlich schien*), und
so geschah es, daß der wegen seines ersten öffentlichen Auftretens bitter
Verhöhnte nach wenigen Jahren als ein Herrscher und König im Reich
der Sprache die Rednerbühne betrat.
An ihm hatte der macedonische Herrscher den mächtigsten Feind. Es
war das höchste Lebensziel des Demosthenes, den athenischen Staat in
eine Lage versetzt zu sehen, in welcher er, wohl ausgerüstet, als schir¬
mende Macht unter den Hellenen stehend, die einzelnen Staaten aus
ihrer tiefen Zerrissenheit an sich heranzuziehen und einen Gesammtbund
zu bilden vermöchte, in dem er selbst die Vorherrschaft verwalte. Dies
Bündniß sollte aber nicht auf Unterdrückung, sondern auf Gleichberechti¬
gung aller Staaten berechnet sein. Wenn Demosthenes in solchen
Herzenswünschen seine Zeit verkannte, so mag die Nachwelt ihn deshalb
beklagen, ohne sein Verdienst zu schmälern.
Als die olynthischeu Gesandten nach Athen kamen, unterstützte De¬
mosthenes das Ansuchen der bedrohten Stadt durch drei Reden, die als
ein Denkmal der höchsten Kunst, staatsmännischer Einsicht und edler
Freimüthigkeit bewundert werden. „Viel würdet ihr, glaube ich, darum
*) Die Mängel seiner Aussprache und seinen kurzen Athem bewältigte er durch
die peinlichsten Uebungen. Mit Kieselsteinen im Munde, rasch bergansteigend, recitirte
er die schönsten Stellen der Dichter, und in tiefster Einsamkeit suchte er Monde, Jahre
lang vor einem großen Spiegel gefällige Bewegungen und Geberden sich anzueignen,
die ihm von Natur nicht eigen waren.