Full text: Lebensbilder aus der deutschen Götter- und Heldensage

im Winter die weißen Schneeflocken flogen, dann sagte man: 
„Frau Holle (Holda) macht ihre Betten, und die Federn 
fallen auf die Erde." Wenn aber an schonen, sonnigen Tagen 
der Himmel mit lauter einzelnen, weißen Wölkchen bedeckt 
war, daun meinte man: „Frau Holle treibt ihre Schafe aus," 
und darum nennt man die kleinen weißen Wolken noch 
heute Schäfchen. 
Der Name Bertha bedeutet die Leuchtende, Glänzende, 
oder auch einfach die Weiße. Sie wurde in Süddeutschland 
ganz ähnlich verehrt, wie in Norddeutschland die Holda. 
Auch sie war eine gute und milde Göttin, die nur zornig 
wurde, wenn man sie verspottete; dann strafte sie aber sehr 
strenge. Sie zeigte sich den Menschen oft als schöne, weiße 
Frau und offenbarte ihnen dann zukünftige Dinge. Am 6. 
Januar feierte man ihr früher ein Fest und brachte ihr Opfer 
dar, der Tag wurde damals der Berthatag genannt. Zu¬ 
weilen konnte aber Frau Bertha auch sehr zornig und böse 
werden. Das geschah gewöhnlich im Winter, und wahr¬ 
scheinlich darum, weil dauu die alten Deutscheu meistens 
faulenzten, denn dies konnte sie durchaus nicht leiden. Unter- 
wildem Sausen und Brausen stürmte sie dann durch die 
Lüfte, gerade so, wie es Wodan zuweilen zu machen pflegte. 
Die Leute sagten dann, das sei der wilde Jäger. Dabei 
war sie aber doch immer gut und milde. Ein alter Mann 
mit weißem Bart und auf einen Stab gestützt, mußte ihr 
dauu vorausschreiten, und alle Menfchcit, die in ihren Weg 
kamen, warnen. Der alte Mann wurde der treue Eck¬ 
hart geheißen. Einmal Begegneten ihm zwei Kinder, die 
für ihre Eltern einen Krug Bier geholt hatten. Da sie nicht 
schnell genug aus dem Wege gingen, kam Frau Bertha heran 
und ihre Begleiter tranken den Kindern das Bier aus. Da 
weinten sie gar bitterlich, und das dauerte den getreuen 
Eckhart, darum sagte er zu ihnen: „Seid nur still, wenn
	        
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